Journal Mittwoch, 5. April 2023 – Großfamilienurlaub 4: Kein Relevo Solemne, aber Madrid Río, Größerfamilenabend

Donnerstag, 6. April 2023 um 10:54

Nach einer Pause nach halb sechs schlief ich lange – bis halb neun.

Goldenes Morgenlicht beim Blick aus unserem Schlafzimmerfenster.

Ich erschrak ein wenig über das späte Aufwachen, denn auch gestern hatten wir etwas Konkretes vor: Nach dem linksalternativen Erlebnis am Dienstag wollten wir den Relevo Solemne am Palacio Reál ansehen (Zusammenhang eben erfunden), den großen, fast einstündigen Wachwechsel im Außenhof, der jeden ersten Mittwoch im Monat um 12 Uhr stattfindet. Da die Madrider Familie uns mit anderen Zeitangaben verunsichert hatte, recherchierten wir besonders gründlich: Vier verschiedene offizielle Quellen gaben als nächstes Termin 5. April, 12 Uhr an. Alles klar.

Wir brachen mit viel Zeit bis dahin auf, waren schon wieder überrascht, wie scheißkalt ein wolkenlos sonniger April-Vormittag in Madrid ist. Zeitiger Aufbruch, denn wir wollten früh am Veranstaltungsort sein: Alle Reiseführer weisen darauf hin, dass man die beste Sicht von den Stufen der benachbarten Kathedrale hat, die wollten wir uns sichern.

Wir spazierten über die Plaza de España, und nach dem Abbiegen zum Palacio Reál war ich dann doch beeindruckt: Dieses Zwischenstück, das ich nur als mehrspurige Autobahn kenne, ist wirklich schön geworden.

Jardines de Sabatini. Auf der Tonspur jetzt Elstern und Papageien, aber kein Autolärm.

Wir positionierten uns auf besagten Stufen, unterhielten uns, beobachteten ein professionell Salsa tanzendes Paar bei Handy-Filmaufnahmen, machten Abstecher zum Blick über Casa Campo.

Als 12 Uhr immer näher kam und der Platz immer noch nicht geräumt wurde, die Stufen der Kathedrale sich auch nicht füllten, wurden wir misstrauisch: Konnten sich alle vier Quellen geirrt haben? Stellte sich heraus: Ja, konnten sie. Kurz nach zwölf stand auf einer davon plötzlich, der nächste relevo solemne finde am 12. April statt (was ganz klar nicht der erste Mittwoch im Monat ist).

Schade, aber wir machten uns eher verdutzt als verärgert einfach zum nächsten Programmpunkt des Tages auf: Ein Spaziergang die neue Uferpromenade des Flusses Manzanares entlang, den Parque Madrid Río.

Auf dem Weg dorthin Abstecher in die Almudena-Kathedrale, dann bot bereits der Abstieg zum Puente de Segóvia herrliche An- und Ausblicke.

Wir kamen am Club La Riviera vorbei – und es stellte sich heraus, dass meine Eltern dort schon 1966 zum Tanzen ausgegangen waren.

Madrid Río beeindruckte mich sehr. Der Park entstand zwischen 2006 und 2012 (hier ein Artikel in der Welt zur Eröffnung). Das Fußballstadion, unter dessen Tribüne man zu meinem Entzücken als Kind durchfahren konnte, steht nicht mehr, dort wird gebaut. In den gut zehn Jahren seit Eröffnung ist der Fluss (weiterhin eingemauert, doch mit viel Platz für Uferbänke und Inseln) ein idyllisches Biotop mit Pflanzen- und Vogelreichtum geworden, wahrscheinlich auch weil Menschen nicht rankommen – man sieht wie im Zoo darauf hinunter.

Alle Anlagen wunderbarst gepflegt und sauber, es ist eigentlich ein Rätsel, dass und wie das funktioniert.

Graureiher unter der Baustelle, wo einst das Fußballstadion lag.

An der spacigen Brücke Arganzuela wurde uns um halb drei mittagshungrig. Wir entschieden uns für Supermarkteinkäufe und Picknick im Schatten, denn zu neunt ist Einkehren in einem Bar eher anstrengend.

Wir kauften wie für eine Großfamilie ein – aber das waren wir ja auch, es blieb nach einem gemütlichen Picknick auf Steinbänken unter Kiefern tatsächlich nur wenig übrig. Ich aß Brot mit Manchego, dann ein ganzes Töpchen Hummus.

Wir kreuzten die Brücke und liefen weiter zum ehemaligen Schlachthof, aus dem ein beeindruckend vielfältiges Kulturzentrum Matadero Madrid geworden ist und das unter anderem das spanische Nationalballet beherbergt.

Interessante Akzente-Typografie.

Jetzt verteilten wir uns wieder, Herr Kaltmamsell und ich nahmen den Fußweg zurück nach Hause und lernten beim Folgen des von Google vorgeschlagenen Wegs unter anderem in Lavapiés die afrikanisch beeinflusste und wuslige Calle del Mesón de Paredes und die Plaza Nelson Mandela kennen.

Zum Abendessen waren wir mit Madrider Familie in einem Restaurant verabredet, nämlich mit einem Teil der meines tío Felix, Bruder meines Vaters. Wir neun nahmen eine U-Bahn in die Nähe der Stierkampfarena Las Ventas, dort hatte mein Cousin einen Tisch in einem andalusischen Restaurant reserviert (die vertrauenserweckend kleine Speisekarte unterschied sich in nichts von der des baskischen Restaurants am Abend zuvor, ich bleibe dabei: die angeblich so regionaltypische Küche Spaniens ist es nicht). Mein Onkel und meine Tante standen schon davor, ich hatte die beiden ebenso wie einen weiteren ihrer Söhne mehr als zehn Jahre nicht mehr gesehen – das Ganze wurde sehr emotional. Kurz darauf trafen der vertrautere Cousin und seine Frau vom Sonntag ein.

Über die nächsten zweieinhalb Stunden schlemmten wir, mein Cousin und seine Frau fragten nur kurz Vorlieben ab (Grillgemüse für die Veganer*innen, huevos rotos für den Vegetarier) und bestellten für alle Platten mit Fisch und Meeresfrüchten, a la plancha und frittiert, Pimientos de padrón, croquetas, frittiertes Wammerl, wir tranken dazu Rotwein (u.a. ich), Bier, Soft Drinks. Ich saß neben meinem Vater und seinem Bruder, gegenüber meine Tante – ich freute mich sehr.

Zum Nachtisch stellte der Wirt, der wohl Spaß an unserem Besuch hatte, drei Fläschchen mit Likören (Hierbas, Kaffee-Sahne-Likör, Pacharán) auf den Tisch, außerdem Eiskonfekt, und dann orderte mein Cousin auch noch Platten mit gemischten Desserts: jahreszeitliche torrijas, eine Platte mit Flan, Vanilleeis und Schokoladentorte, eine Platte mit Crêpes – es kam alles weg.

Ich hatte mich gerade zu dem lang nicht gesehen Cousin gesetzt, da begann bereits der Aufbruch: Die Metro fährt nur bis Mitternacht, und das (sehr herzliche) Personal des Restaurants war nur noch wegen uns da – da in Spanien ja erst nach 21 Uhr zu Abend gegessen wird, überaschte mich das. An der Metro trennten sich unsere Wege, es war viel Herzens und Küssens.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 5. April 2023 – Großfamilienurlaub 4: Kein Relevo Solemne, aber Madrid Río, Größerfamilenabend“

  1. TomInMuc oder Tomate meint:

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    Gerne gelesen

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  2. Croco meint:

    Was für ein schöner Tag. Ich freu mich sehr, so viel über Madrid zu erfahren. Und ich bekomme jedes Mal Hunger, wenn ich die Fotos sehe und den Text dazu lese. Sehr appetitanregend.
    Ich wünsche Euch eine gute Zeit weiterhin.

  3. Frank meint:

    Es gibt schon Lokale mit dezidiert regionaler Küche in Madrid. Andalusisch sind por ejemplo Rincón de Jaén (eine Klein-Kette) oder Bar Sanlucar (Latina). Baskisch: Txirimiri (Salamanca). Asturisch: Casa Mingo (Argüelles).

    El Cantabrico, Entre Caceres y Badajoz sind noch zwei mehr in Salamanca.

    Etwas Katalanisches in Madrid fällt mir partout nicht ein.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Im Rincón de Jaén waren wir, Frank. Was von der Speisekarte gibt es nicht überall in Spanien?

  5. Julia meint:

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    Gerne gelesen

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  6. Thea meint:

    frittiertes Wammerl – und das in Madrid

    Made my day. Gracias.

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