Journal Donnerstag, 13. April 2023 – Großfamilienurlaub 12: Pan candeal, zusammengefasstes Schwärmen von Sepúlveda
Freitag, 14. April 2023 um 9:59Gut und tief geschlafen (kein Schnarcher im selben Zimmer), ich war bereits am Wachwerden, als ich den Aufbruch der Bruderfamilie hörte.
Gleich früh ging ich nochmal zum Panadero, um das für die Gegend typische pan candeal zum Heimnehmen zu besorgen. Es war zapfig kalt (Thermometer im Innenhof der Posada zeigte 6 Grad an – Vorbereitung für München) – so sollten die Temperaturen hier oben im April eigentlich sein.
Doch erst mal verließ ich die Panadería mit leeren Händen: Diese Brotsorte war noch nicht fertig, der freundliche Panadero vertröstete mich auf in 20 Minuten. Aber er gab mir gleich mal Auskunft zu Details dieses Brots.
Das pan candeal ist besonders feinporig mit mürber Kruste, im Grunde das Gegenteil einer französischen Baguette oder italienischen Ciabatta. Die verwendete Weizensorte ist trigo candeal (Triticum turgidum), einst in Spanien dominierend und, wenn ich das richtig verstehe, ein Verwandter des Kamut. Der sehr feste Teig mit wenig Wasser (40 Prozent) wird mit Walzen geknetet (oder Nudelholz). Getrieben wird er mit Weizensauerteig, doch der Panadero meinte, im Winter brauche er ein bisschen Hilfe von Bio-Hefe. Idealerweise gehe er 24 Stunden bei 28 Grad.
Bei meinem zweiten Besuch lag das pan candeal in einigen Form-Varianten im Regal, ich nahm diejenige, die mir aus meiner Kindheit vertraut war.
Anschnitt vom Abend.
Da wir nur noch zu dritt waren, hatte Wirt Millán für uns im Comedor gedeckt, wir trafen auf andere Gäste. Unseren Gastgeber fragten wir noch ein wenig zum Haus aus und zu dem einen oder anderen Detail, das uns bei unseren Spaziergängen in und um Sepúlveda aufgefallen war. Er erzählte unter anderem, dass es für das verfallende Elektrizitätswerk fábrica de la luz Pläne zum Umbau in ein Hotel, dann in ein Infozentrum über die Hoces del Duratón gegeben habe, für die Umsetzung aber keine Genehmigung.
Abschiede erleichtern mich eigentlich immer. Der von Kastilien löste diesmal überraschendes Ziehen aus – ich werde doch nicht in der wundervollen Posada frische Wurzeln geschlagen haben?
Mit meinen Eltern fuhr ich zurück nach Madrid.
Letzter Blick auf El Olmo. Die Bergrücken der Sierra de Guadarrama waren weiß überfrostet.
Hinunter zur Meseta.
Die Rückgabe des Mietautos wurde ein Abenteuer, da wir für die Navigation nur Google Maps zur Verfügung hatten und das uns nicht zu der Europcar-Station bringen konnte, an der wir das Auto abgeholt hatten (der angezeigte Weg existierte nicht). Nach einigen Runden mit wachsender Verzweiflung, denn ich kannte mich hier wirklich nicht aus, fuhren wir eine andere Station an. Hier glückte die Abgabe, ein Schaden an einer Felge wurde festgestellt. Zwar hatte ich beim Empfang das Auto außen genau mit der Schadensliste abgeglichen, doch auf die Felgen hatte ich nicht geachtet (fehlende Auto-Vertrautheit), musste diesen massiven Kratzer also als von uns verursacht hinnehmen.
Ab dann verlief die Rückreise aber glatt. Ich frühstückte am Flughafen noch ein boquadillo de jamón y queso sowie einen großen Schokoladenkeks.
Im kalten (9 Grad), regnerischen München landeten wir mit nur 15 Minuten Verspätung, meine Eltern bogen zum Flughafen-Bus nach Hause ab. In der S-Bahn in die Innenstadt verlängerte eine spanisch sprechende Gruppe mein Spanien-Gefühl angenehm. Kurz nach acht nahm ich daheim Herrn Kaltmamsell in die Arme.
Nachtmahl mit Ziegen- und Schafskäse aus Boceguillas, Herr Kaltmamsell hatte zur mitgebrachten Zwiebel bereits Salat und Tomaten besorgt, mir war sehr nach Wein.
Für mein Gemüt war die Rückreise viel zu schnell und plötzlich verlaufen, ich war innerlich noch ganz in Sepúlveda und wollte überhaupt nicht zurück in München sein.
§
Hier möchte ich zusammengefasst von der Provinz Segóvia und darin vor allem von Sepúlveda als Reiseziel schwärmen.
Kastilien ist eine schroffe Gegend Europas mit sehr viel Geschichte inklusive im 20. Jahrhundert und bis heute – davon erzählen Besiedlung und Landschaft. Es kann viel Spaß machen beides zu erkunden, im zurecht berühmten kastilischen Licht durch (wieder) lebendige Dörfer zu fahren oder zu gehen, Wanderungen durch Naturschutzgebiete zu machen (auch Mountainbike-Strecken werden hier empfohlen), durch eine karstige Gebirgslandschaft, die sich auf den Klimawandel einstellt.
Idyllenhausen aber ist das hier echt nicht, keine Provence-Romantik. Sondern nur echt. Mit industrieller Landwirtschaft außerhalb der Naturparks (und römischen Brücken sowie römischen Inschriften in und um Duratón), mit Schweinefabriken (aber garantiert Paella-freien Speisekarten), mit Spielautomaten in den Bares von Sepúlveda (aber dort immer noch zwei Panaderías, zwei Carnicerías, sogar wieder einer Pescadería).
Das meiste davon ist wenig touristisch erschlossen: Man muss es wissen und dann selber hinfinden – wie so Reisende in den 1950er Jahren, mich erinnert es an englischsprachige Romane dieser Zeit. Von den zahlreichen Spuren der Römerzeit erfuhr ich übrigens in meinem ersten Semester Geschichtsstudium (Nebenfach), als ich Epigrafie der römischen Kaiserzeit belegte und der Professor mir eine Inschrift aus Duratón als Untersuchungsgegenstand meiner Hausarbeit zuwies, die er selbst fotografiert hatte (das Foto stimmte nicht mit ihrer Erstveröffentlichung über 100 Jahre zuvor überein, ich plumpste gleich im ersten Semester in echte Forschung – die Geschichte muss ich mal erzählen).
Spanien und Kastilien haben halt mit Bürgerkrieg, Franco-Diktatur und zackigem Nachholen von Modernisierung eine durch und durch andere Geschichte im 20. Jahrhundert als Frankreich und die Filmkulisse Provence – schmerzhaft und sicher nicht weniger spannend.
Was mir persönlich besonders entgegen kommt: Die Instagramabilität der meisten Ansichten wird durch Details gestört, sei es durch einen weggeworfenen Autoreifen, durch eine Schweinefabrik in der Landschaft, durch eine Hochspannungsleitung oder durch Plastikstühle unter der Hausfassade aus dem 13. Jahrhundert – ich mag sowas sehr, es bedeutet für mich Leben.
Und in Madrid ist man von Sepúlveda aus in einer guten Stunde mit dem Auto.
Anreise: Entweder ganz mit dem Auto und unterwegs ein bisschen Frankreich angucken, oder Flug nach Madrid Barajas, Weiterfahrt mit Mietauto von dort – leider erreichen öffentliche Verkehrsmittel, gar Schienen, diese Gegend nicht.
Unterkunft: Posada de San Millán, eines der ältesten Häuser von Sepúlveda mit Teilen aus dem 11. Jahrhundert, in seinen acht wunderschönen und liebevoll eingerichteten Zimmern dennoch mit jedem Komfort. Ganz besonders herzliche Gastfreundschaft der alteingesessenen Sepulvedaner Familie Bonilla, die zu jedem Stein der Stadt und Umgebung etwas zu erzählen weiß.
Ideale Reisezeit: April bis Oktober. Selbst der Hochsommer kann hier angenehm sein, denn die Nächte kühlen stark ab, in Sepúlveda gibt es ein Freibad, und im August finden die erlebenswerten fiestas statt.
Mehr Infos auf der gut gepflegten Fremdenverkehrs-Website.
die Kaltmamsell15 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 13. April 2023 – Großfamilienurlaub 12: Pan candeal, zusammengefasstes Schwärmen von Sepúlveda“
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14. April 2023 um 10:10
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Gerne gelesen
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14. April 2023 um 10:38
Vielen Dank fürs Mitnehmen, ich konnte so die Reise mitgeniessen.
14. April 2023 um 10:41
Vielen Dank fürs Mitnehmen, ich habe mich an den Bildern und Berichten sehr erfreut :)
14. April 2023 um 10:51
Klingt nach einer Gegend, in der ich mich wohlfühlen könnte. Ich runzelte zwischendurch nachdenklich die Stirn, denn ich finde recht viele Parallelen zu den struppigen Landstrichen der Provence, in denen ich gern bin. Aber klar, da gibt es ja auch diese durchtouristifizierte Plastik-Provence, die mich sogleich schaudern lässt.
Nebenbei finde ich es immer wieder bemerkenswert, welche Spuren die alten Römer hinterlassen haben. Es hat für mich etwas sehr Verbindendes, was vielleicht an meinem verehrten alten Lateinlehrer liegt, der mich tief geprägt hat.
14. April 2023 um 10:58
Die ganze Reise sehr, sehr gerne gelesen!
Vielen Dank für die Mitnahme!
14. April 2023 um 12:15
Ha ha ha “struppige Landstriche der Provence” – wie recht Sie haben, Wibke. Die gibt es im übrigen fast überall, die struppigen Landstriche, man muss sie bloß zu finden wissen ….
14. April 2023 um 12:36
Tipp für das nächste Mietauto: bei Abholung einmal rundrum gehen und dabei ein Video mit dem Smartfon machen. Seitdem hat man uns keinen nicht von uns verursachten Schaden versucht anzuhängen. Und auch vergessene Details wie z.B. die Felgen sind eher mit erfasst.
14. April 2023 um 12:46
Dank fürs mitnehmen, ich weiß erschreckend wenig spanische Geschichte.
14. April 2023 um 15:53
Die völlige Abwesenheit von Windrädern auf Ihren Fotos unterstreicht auf interessante Weise die Ursprünglichkeit dieser Landschaft. Dabei liefert Windkraft inzwischen einen erheblichen Anteil zur spanischen Stromerzeugung. Aber anscheinend nicht in Kastilien.
14. April 2023 um 16:05
Sollte ich den Eindruck erweckt haben, Thomas S., mit meinen Fotos ganz Kastilien abgebildet zu haben, bitte ich um Entschuldigung. Allein schon beim Anflug auf Madrid sieht man Reihen über Reihen von Windrädern, und schon 2006 prägten sie in Almodóvars Film Volver die kastilische Landschaft.
14. April 2023 um 18:42
” ich mag sowas sehr, es bedeutet für mich Leben.” Sterile Bilder ohne irgendwas “störendes” wirken unnatürlich.
Vielen Dank, dass Sie uns auf die Reise zu Ihren Wurzlen mitgenommen haben.
14. April 2023 um 19:43
Vielen Dank für den Bericht. Ich wusste nicht, dass es „Übrigbleibsel“ der Römer dort in der Ecke gibt, das motiviert direkt mal doch Spanien zu bereisen obwohl ich immer glaube das Essen nicht zu mögen (das ist aber sicherlich nur Vorurteil-getrieben und vermutlich entspricht es nicht der Wahrheit. Ich war noch nie dort) …. Werde direkt mal nach Römer in Spanien – Dokus suchen um schlauer zu werden…
14. April 2023 um 22:54
Danke sehr für die Reisegeschichten.
So mag ich Spanien.
Manchmal denke ich, die anarchistische Seele Spaniens zeigt sich in der Ausschilderung zum Flughafen der Hauptstadt.
15. April 2023 um 7:41
Vielen Dank für die Reiseberichte und Fotos!
15. April 2023 um 18:55
Das Mietwagendings erinnert mich an eine Rückgabe in Albufeira, wo wir den Verlust von vier Radkappen bestätigen mussten. Wir hatten das klapperige Modell in Lissabon übernommen und “alle Schäden” waren dokumentiert. Aber wenn alle Radkappen fehlen, geht man da nicht von Schaden aus. Als wir rauswaren, fluchten die Mitarbeiter dort laut “sempre erres terrives carros de lisboa!” (oder so ähnlich). Smartphones gab es da noch nicht.