Sommerleiden

Mittwoch, 1. Juni 2005 um 15:47

„Ich habe das Gefühl im Winter sind die Menschen schöner“, schreibt elle aus dem Blauen.

„Wie Recht sie hat“, dachte ich zum Beispiel auf der Bahnfahrt nach Hamburg. Der Mann da am Bahnsteig: Wenn er statt Boxershorts (die seine Krampfadern freilegen), ausgeleiertem T-Shirt und Schlappen (die die Schwielen und den abgebrochenen Zehennagel an seinen Füßen sichtbar machen) Jeans, Pulli und Turnschuhe trüge – dann wäre er nicht halb so abstoßend. Auf die „Bingo Wings“ (böse Isa!) an den Oberarmen der alten Frau neben mir im Zug würde ich gar nicht erst aufmerksam, trüge sie winterlich lange Ärmel. Die Unterschenkel der Frau vor mir erinnern mich in ihrer Vielfarbigkeit ans Nil-Delta; ihre Sandalen trägt sie glücklicherweise mit blickdichten Pornosocken.

Oder die Sekretärin einer Nachbarabteilung, deren Anblick ich sonst in der Kantinenschlange so genieße: Sie hat eine wunderhübsche Figur, einen langen Hals, edle Haltung. Doch auch in diesem Sommer muss ich mich wegen ihrer tiefen Rückenausschnitte oder Trägerhemdchen damit befassen, wie sehr Menschen auch weit jenseits der Pubertät unter schwerer Akne leiden können.

Bei Sommer-Temperaturen fällt mir erst auf, wie gerne ich Menschen anschaue – weil es mir plötzlich viel weniger Freude bereitet.

Überhaupt: Woher stammt nur die Illusion, jedes Steigen der Hitze müsse eine Verminderung der Kleidung nach sich ziehen? Bis zur Kurzärmelphase (etwa 26 Grad) mag das noch stimmen, aber empfiehlt es sich danach nicht eher, dem Beispiel von Wüstenbewohnern zu folgen und viel locker sitzende Baumwolle oder Leinen zu tragen? Empfinde nur ich es als angenehm, wenn mich längere Ärmel und Hosen bei Hitze davor bewahren, mit nackten Armen und Beinen an mir selbst zu kleben?

die Kaltmamsell

14 Kommentare zu „Sommerleiden“

  1. Modeste meint:

    Wohl wahr – einerseits… auf der anderen Seite: Die Männer mit den gut trainierten Oberarmen, unter deren Haut die Muskeln spielen. Die langen, schlanken Mädchen von ungefähr 18, die mit Neckholder und Rock die Kastanienallee herunterlaufen. Die Sommerzeit ist die Zeit der Extreme – wer gut ausschaut, der schaut halt noch ein bißchen besser aus und kann zeigen, was er hat – wer´s nicht so gut getroffen mit der Natur, der ist mit Top und Röckchen halt noch ein wenig unansehnlicher.

    Man sollte nächstes Jahr aber wirklich ab März regelmäßig trainieren.

  2. pepa meint:

    Noch sehr viel unangenehmer als den Anblick anatomischen Variantenreichtums, finde ich die Gerüche, die die steigenden Temperaturen mit sich bringen.

  3. Felix meint:

    Ich zieh mich nur für die Sonne aus. Und die hat sich bisher noch nie beschwert.
    Aber man erkennt “seine Pappenheimer” im Supermarkt. Dieser Menschenschlag hat irgendwas an sich, das ihn unangenehm macht. So, wie vorhin bei PLUS.

  4. croco meint:

    Und da sagt doch einer, Nacktheit wäre erotisch….

  5. Indica meint:

    …schon mal an einem ganz normalen Sommertag im Freibad gewesen? Oder kann es etwas Unerotischeres als eine Sauna geben (ganzjährig)? Mich stimmt zu viel und vorzugsweise bleiches Berliner Fleisch, offen dargeboten, immer aggressiv.

  6. Indica meint:

    Ach ja, ich vergaß: Stoff an sich ist gnädig.

  7. blue sky meint:

    Ja, schlimm, diese unästhetischen Menschen überall. Gut, dass es Fernsehserien und Zeitschriften gibt. [Sorry, bei diesem Thema werde ich immer sarkastisch.]

  8. die Kaltmamsell meint:

    Aber, aber, Herr Sky: Haben Sie das Lesen verlernt?

  9. blue sky meint:

    Hm, ich weiß nicht, hab ich das wirklich? Klar war das überspitzt. Aber offenbar geht ja nicht nur um die Frage, wieviel Haut in der Öffentlichkeit generell akzeptabel ist, sondern nur wieviel unreine, unstraffe, unebenmäßige Haut. Und an der Stelle wird’s für mich schnell fragwürdig.

  10. die Kaltmamsell meint:

    Dann sind wir tatsächlich verschiedener Meinung: Ich mache einen Unterschied zwischen Privatem und Öffentlichem im Grad der Nacktheit. Und es gibt tatsächlich einige Varianten des menschlichen Aussehens, deren Anblick mir unangenehm ist. Zwar spreche ich niemandem das Recht ab, seine abstoßendsten Seiten zu zeigen. Aber ich leide darunter und schaue deshalb lieber die bekleideten Menschen im Winter an.

  11. Anke meint:

    (Pssst: Was sind bitte „Bingo Wings?“)

  12. die Kaltmamsell meint:

    (Herr typ.o, der sein Archiv derzeit versteckt hat, erinnerte sich an die Abende in der Küche seiner Oma, an die Hautlappen, die von deren Oberarmen herunterhingen und so lustig schlackerten. Isa hatte dafür die englische – amerikanische? – Bezeichnung bingo wings angeboten.)

  13. Isabo meint:

    Irgendwo – ich glaube bei Wortschnittchen – las ich das deutsche Wort “Winkfett”. Aber bingo wings ist natürlich schöner. Keine Ahnung, ob das englisch oder amerikanisch ist.

  14. Anke meint:

    Ah, hatte ich mir gedacht, habe aber das „Bingo“ so gar nicht kapiert.

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