Journal Samstag, 4. November 2023 – Echter Herbst, Samstagsgemütlichkeit

Sonntag, 5. November 2023 um 9:09

Beim nächtlichen Klogang (der eine, der immer schon zu meiner Nacht als Vieltrinkerin gehörte) Rollladen herabgelassen, bis acht geschlafen.

Irgendwann wird mir die unterschiedliche Morgenbeleuchtung von St. Matthäus langweilig. Aber jetzt noch nicht.

Schon beim Aufwachen erwog ich die Möglichkeit, meine Schwimmpläne abzusagen und statt dessen mit Muße Erledigungen zu erledigen. Nach ein wenig emotionalem Hin und Her spürte ich vor allem Freude über die zusätzliche Zeit (statt Trauer und schlechtes Gewissen wegen der entgangenen Sport-Einheit), also machte ich das so.

Ich holte die Wochenend-Süddeutsche aus dem Briefkasten, schüttelte das Altpapier heraus – und erweiterte die Reihe “Kundenmagazine, die ich wirklich nicht habe kommen sehen”: Das Magazin der Bundesgesellschaft für Endlagerung.

Darin die Berichte über zwei Schulprojekte. Respekt für diejenigen, die irgendjemandem dafür Budget aus dem Kreuz geleiert haben.

Erledigungs- und Einkaufsrunde Schusterin, Tchibo, Vollcorner, Süpermarket Verdi – in dann doch endlich richtigem Herbst.

Nußbaumpark.

Theresienwiese.

Es war ein Samstag der Geschenke: Erst wollte die Schusterin fürs Zurecht-Dengeln einer drückenden Stiefel-Kante nichts haben, dann gab mir die Tchibo-Verkäuferin für die beiden bestellten Taschenschirme auch ohne Kundenkarte den Kundenkarten-Rabatt. Einfach so! (Einfach-so-Nettigkeiten sind besonders rührend.)

Kurz nach Mittag war ich in Neuhausen verabredet: Kaffeeundkuchen im Ruffini. Ich nahm die U-Bahn bis zum Stiglmaierplatz, denn diese Strecke ist nicht wirklich schön, spazierte von dort zu Fuß weiter.

Treffen mit einer Freundin, die viel auch beruflichen Kontakt nach Nahost hat. Wir waren uns einig in unserer Verzweiflung: Warum erkennen so viele Menschen nicht, dass der gemeinsame Feind Hamas ist? In meinem Fall auch Verzweiflung, wie ich in den vergangenen Jahren so blind gegenüber dem wachsenden Antisemitismus sein konnte (wie so oft mein verheerender Reflex “So blöd kann doch niemand sein!”).
Dann aber auch Neuigkeiten aus Familie und Beruf.
(Dazu Cappuccino, Zwetschgenstreusel, Rhabarberschorle.)

Zurück wollte ich denselben Weg nehmen, suchte dann aber schon an der Maillingerstraße Schutz in der U-Bahn vor dicken Regentropfen.

Zeitunglesen, Yoga-Gymnastik, zum Nachtmahl steuerte ich den Aperitif und die Vorspeise bei. Für Ersteres testete ich ein alternatives Cosmopolitan-Rezept, dieses mit Zitronen-Vodka. Den schmeckten wir über dem vielen Limetten-Saft allerdings nicht heraus, das nächste Mal verwenden wir ihn in unserem bisherigen Rezept. Ausnahmsweise gab es dazu nibbles (wie die Schwiegerfamilie sagt): Geröstete Nüsschen.

Für die Vorspeise kombinierte ich eine vermutlich allerletzte Ernteanteil-Tomate mit süßer Zwiebel.

Als Hauptspeise Quitten mit Lammhack nach Ottolenghis Rezept in Jerusalem (wir wohnen im Münchner südlichen Bahnhofsviertel ja in einem Ottolenghi-Kochbuch und bekommen Lammhack in vielen Süpermarkets und Metzgereien ums Eck). Im Glas ein spanischer Reserva aus Navarra, passte gut. Nachtisch Schokolade.

§

Im Feuilleton der Wochenend-Süddeutschen interviewt Johanna Adorján die 102-jährige Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende und rührige Zeitzeugin (leider nur gegen € zu lesen).

“‘Ich würde nie hassen wollen'”.

Das Interview endet so:

Glaubt Margot Friedländer daran, dass der Mensch lernen kann? Ist sie optimistisch, dass sich schließlich alles zum Besseren entwickelt? “Nein.” Ihre Antwort kommt schnell. “Nein. Leider nicht. Ich habe das gehofft, aber ich glaube es nicht.” Warum geht sie immer noch, mit über hundert Jahren, an die Schulen, redet vor Klassen, vor Politikern, hat jetzt an diesem Film mitgewirkt, gibt Interviews?
Sie guckt einen lange an. Und sagt dann: “Man muss es doch wenigstens versuchen.”

§

In der dieswochenendlichen SZ-Kolumne von Kurt Kister (€) eine schöne Umschreibung von Survivorship Bias:

Die Möglichkeit, Wege, wenn auch gewundene, aus einer schwierigen Situation heraus zu finden, ist immer ein Privileg der Überlebenden im weitesten Sinne. Das Leben lässt sich schwer verbessern, wenn man tot ist.

die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Journal Samstag, 4. November 2023 – Echter Herbst, Samstagsgemütlichkeit“

  1. Sonni meint:

    Ihre Verzweiflung über die Reaktionen auf den beispiellosen Überfall des 7. Oktober teile ich. Die täglichen Nachrichten zu diesem Thema verursachen mir mehr und mehr ein befremdetes Gefühl von verkehrter Welt, das oft zitierte “alles Geisterfahrer”, aber diesmal aus meiner Perspektive. Im persönlichen Umfeld ist es zum Glück überwiegend nicht so.

  2. N. Aunyn meint:

    Wir hatten heute beim WG-Frühstück die Frage, ob die Hamas so schlimm ist wie der IS.

    Dass viele Menschen das nicht sehen liegt daran, dass die Gehirnwäsche / Propaganda so wirkungsvoll ist.

    Was ich in den deutschsprachigen Medien noch nie gelesen habe: Die israelische Armee warnt die Zivilbevölkerung in Gaza, durch Flugblätter, Anrufe und „knock on the roof“-Bomben.

    Anima Chuzpanit, eine Schweizerin, die in Israel lebt und bloggt, beschreibt das sehr treffend in “doppelter Standard”:
    https://kinderkatzenundkakteen.wordpress.com/2023/10/23/doppelter-standard/

  3. die Kaltmamsell meint:

    Auch hier, N. Aunyn, wieder indirekte Info in deutschen Medien: In der Tagesschau wurde ein ausgebombter Gaza-Bewohner gezeigt, der fassungslos empört war, wie dann übersetzt wurde, “weil die israelische Armee uns nicht mal vorher gewarnt hat”.
    Aber wie viele Zuschauer*innen folgern wohl daraus korrekt, dass Warnungen das sonst übliche Vorgehen sind?

  4. @lazycuttlefish meint:

    Das mit den Warnbomben war mir bekannt — nachdem ich das gelesen hatte, hatten mein Mann und ich überlegt, was man wohl tut, wenn man weiß, dass man wenige Minuten Zeit bis zum richtigen Einschlag hat. In unserem Fall lief das auf “die Katze greifen und rennen” hinaus.

    Wie das allerdings aussieht, wenn man (mehrere) Kinder hat und zudem oben in einem Hochhaus wohnt, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.

    Die Vereinten Nationen scheinen zumindest auch Zweifel daran zu haben, dass das Ganze hilft: https://foreignpolicy.com/2015/06/22/u-n-israeli-roof-knocks-did-not-provide-effective-warning-to-gaza-civilians/

    (Und ja, natürlich ist Hamas schuld.)

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