Journal Mittwoch, 7. Februar 2024 – William Shakespeare / Werner Herzog, Der Sturm / Das Dämmern der Welt

Donnerstag, 8. Februar 2024 um 8:54

Gute Nacht, nur die letzte Stunde vor Wecker mit leichterem Schlaf.

Es kündigte sich wieder ein schön heller Tag an.

Vormittags in der Arbeit kämpfte ich gegen bleiernde Müdigkeit, die ich mir überhaupt nicht erklären konnte. Für meinen Mittagscappuccino ging ich also extra weit, frische, kühle Luft (Mütze brauchte ich sehr wohl) und Koffein ließen mich deutlich wacher an den Schreibtisch zurückkehren. Mittagessen später: eine dicke Scheibe Schokoroggenbrot, vorgeschnippelte Blutorange und Grapefruit.

Kurzer Nachmittag, Feierabend mit Minusstunden, denn mein Abo an den Münchner Kammerspielen schickte mich am Abend ins Theater (und ich musste ja herausfinden, dass ich keine Energie für diese Termine habe, wenn ich normal lang arbeite). Auf dem Heimweg kaufte ich im Süpermarket Verdi Obst, dann in einem arabischen Nussladen in der Landwehrstraße gesalzene Pistazien und eine Nussmischung mit Safran.

Blöderweise war aus der bleiernen Müdigkeit des Vormittags jetzt massiver Schwindel geworden, ich befürchtete bereits nach Jahren ohne eine Migräne. Daheim legte ich nur kurz ab und verräumte meine Einkäufe, dann ging ich ins Bett – mit der traurigen Option, den Theaterabend bleiben zu lassen, wenn es mir nicht besser gehen würde.

Doch als ich nach einer guten Stunde aufstand, war der Schwindel tatsächlich weg, ich fühlte mich fit. Herr Kaltmamsell hatte auf meine Bitte das Nachtmahl vorverlegt, er servierte Nudeln mit Linsen (LINSEN!) und Ofenkarotten. Dann musste ich schon los, an den Kammerspielen erwartete mich William Shakespeare / Werner Herzog, Der Sturm / Das Dämmern der Welt (ich hatte bemerkt, dass mich mittlerweile eine Aufführungsdauern von drei Stunden nicht mehr schreckt). Ich marschierte (dann doch in den so schön marschierbaren Turnschuhen und nicht in Theater-Pumps) durch angenehme Abendluft zur Maximilianstraße.

Wieder wusste ich vor dem Angucken nichts über die Inszenierung. Mein Interesse basierte vor allem darauf, dass ich Shakespeares Tempest weder je gelesen noch gesehen hatte (nicht mal Greenaways Prospero’s Books), es aber über Herrn Kaltmamsells Erzählungen und Referenzen kannte, er spricht oft von der Geschichte. Der Bezug zu Werner Herzog ergab sich aus der Inszenierung (Dank an die Dramaturgie von Claus Philipp und Tobias Schuster), im Programmheft heißt es:

Hausregisseur Jan-Christoph Gockel verschneidet Shakespeares Stück mit Werner Herzogs neuem Roman “Das Dämmern der Welt”. Darin erzählt Herzog die Geschichte des Soldaten Hiroo Onoda, der 29 Jahre lang auf einer Insel den Zweiten Weltkrieg weiterkämpft. Alle Nachrichten darüber, dass der Krieg zu Ende ist, hält er für Fälschungen.

Das Bühnenbild (Julia Kurzweg) eher karg, im Zentrum zunächst ein Schiffsmast, genutzt wurde die Bühne selbst mit ihrer Veränderbarkeit. Später tauchte auch das ganze Schiff auf, ein rostiger und offensichtlich schon lang untergegangener Kahn, und zwar buchstäblich von unten aus der Bühne geholt.

Miranda und Ferdinand aus Der Sturm wurden von Marionetten dargestellt (Michael Pietsch ist auch Puppenbauer und -spieler), Miranda von einer verstörend kaputten Marionette, Nebenfiguren lagen als Marionettenköpfe auf der Bühne herum, Darsteller*in von Caliban (Michael Pietsch) und Ariel hoben sie auf und sprachen für sie.

Gestern sah ich auch wieder eine aktuell häufig verwendete Technik: Statt eines Vorhangs wurde vor der Bühne eine durchsichtige Projektionsfläche herabgelassen, die das Bühnengeschehen verdoppelte. Darauf wurden abgefilmte Ausschnitte des Bühnengeschehens vergrößert, zum Beispiel die Marionettenfigur der Miranda, die sonst zu klein für gute Sichtbarkeit gewesen wäre. Oder es wurde Handlung gezeigt, die hinter oder unter der Bühne spielte – die Transparenz der Projektionsfläche ermöglichte gleichzeitiges Verfolgen des Bühnengeschehens.

Zentrale thematische Elemente: Krieg (u.a.: Gibt es überhaupt Frieden? Oder wird andauernder Krieg nur hin und wieder durch die Illusion von Frieden unterbrochen?), Vergebung, Bilder, Rache, Hierarchien.

Herausragender Darsteller war Bernardo Arias Porras, den ich noch nicht kannte – er spielte Werner Herzog auf verschiedenen Ebenen (Lebensgeschichte erzählend, im Dschungel handelnd, Filmweisheiten predigend), mit seiner großgewachsenen, dürren Physis extrem weit weg von der Herzogs, immer wieder mit dieser leichten selbstvergessenen Überkandideltheit, die Männerfiguren wie ihn ein bissl bemitleidenswert machen. Ich werde die nächsten München-Tatorts gucken müssen, Kammerspiel-Talente wie Bernardo Arias Porras tauchen dort recht verlässlich in größeren Nebenrollen auf.

Erst heute Morgen erfuhr ich von Herrn Kaltmamsell, dass Werner Herzog heutzutage vor allem durch seine Auftritte in US-amerikanischen Fernsehserien bekannt ist. Gestern auf der Bühne ergab sich am Anfang des Stücks eine angenehme Verwirrtheit durch den “Herzog”, von dem bei Shakespeare die Rede ist, und seinem Namen.

In der Pause spazierte ich durchs Foyer und genoss das Gebäude.

Der Vorhang der Kammerspiele, extrem selten zu sehen.

Hinter der Bartheke im Obergeschoß.

Nach der Pause fiel fiel die Inszenierung in meinen Augen ein wenig ab, Ariel-Darstellerin Katharina Bach trug in Bardamenkostüm und Stand-up-Modus Gedanken zu Krieg und Frieden vor, dann wurden um und auf dem kreiselnden Schiff Handlungs- und Gedankenstränge aufgeräumt.

Rascher Heimweg durch leichten Regen, das eigentlich interessante Publikumsgespräch mit dem Regisseur musste ich auslassen (Momente, in denen ich euch Nachtmenschen beneide).

§

In Spanien gibt es eine Kampagne #TengoNombre – #ichhabeeinenNamen: Geschäftsleute wollen nicht mehr bloß “der Eck-Chinese” sein.
“‘I’m not the Chinese on the corner’: Barcelona’s shopkeepers reclaim their names”.

die Kaltmamsell

1 Kommentar zu „Journal Mittwoch, 7. Februar 2024 – William Shakespeare / Werner Herzog, Der Sturm / Das Dämmern der Welt

  1. Chris Kurbjuhn meint:

    Herzog ist ein wunderbarer Schurkendarsteller.

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