Journal Donnerstag, 14. März 2024 – Wolf Haas, Eigentum
Freitag, 15. März 2024 um 6:32Nicht wirklich gut geschlafen, nach dem späten Heimkommen auch zu früh aufgewacht, benommen aufgestanden. Ich nutzte die zusätzliche Zeit für Bloggen über das Theaterstück am Vorabend.
Strammer Marsch in die Arbeit, ich wurde von der Milde der Luft überrascht.
Zackiges Arbeiten – na ja, die Zackenspitzen ein wenig durch meine müde Benommenheit abgerundet. Immer wieder hatte ich das Bedürfnis nach einem Gegencheck, ob ich nicht gerade Mist gebaut hatte, immer wieder fiel mein Blick verloren auf den Bildschirm: Was wollte ich hier gerade?
Mittagscappuccino bei Nachbars, danach ging das mit der Konzentration eine Weile besser. Auch die paar Schritte durch fast Sonne hatten mir gut getan.
Mittagessen: Bananen, eingeweichtes Muesli mit Joghurt. Jetzt gesellte sich Kopfweh zur Müdigkeit. Dass es auch mit einer Ibu nicht wegging, ließ mich zusammen mit der Benommenheit eine mindere Migräne vermuten (wenn sie nur so aussieht, geht’s ja noch). Im Verlauf des Nachmittags Konzentrationsfähigkeit nahe Null, es mussten dennoch Dinge weggearbeitet werden, zefix. Aber draußen bemühte sich milde Sonne durch den Wolkenschleier, das war sehr schön.
Den Heimweg ohne Mütze und Handschuhe genoss ich, nach Einkäufen in Balkanbäckerei, Drogeriemarkt und Vollcorner öffnete ich auf dem letzten Stück sogar den Mantel.
Bloß weil ich diese Zierkirsche am Bavariaring schon x Mal fotografiert habe, heißt ja nicht, dass ich sie nicht zum x+1sten Mal fotografieren kann.
Zu Hause ein wenig Yoga-Gymnastik, Brotzeitvorbereitung, dann richtete ich das Abendessen her: Salat aus aromatischem Ernteanteil-Feldsalat, Ofen-Feta, ein schöner alter niederländischer Käse aus Friesland (ganz erstaunlich, wie ganz anders als ein lokaler Bergkäse er schmeckte), Balkan-Fladenbrot. Nachtisch Schokolade.
Im Bett begann ich die nächste Lektüre, diesmal wieder auf Papier und mit frisch geladener Halslampe: Granta 166, Generations.
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Wolf Haas, Eigentum könnte wie der autofiktionale Roman von Oskar Maria Graf auch Das Leben meiner Mutter heißen (beides als “Roman” verkauft – warum schämt sich das deutschsprachige Verlagswesen so sehr, ein Buch mit biografischen Erzählungen nicht so zu nennen?). Wie jede Biografie erzählt diese indirekt Geschichte: Weltgeschichte, Gesellschaftsgeschichte, die Geschichte des Erzählers.
Aber weil dieses Buch Haas geschrieben hat und nicht Graf, ist es natürlich ganz anders – unter anderem viel, viel kürzer.
Das Buch setzt drei Tage vor dem Tod der greisen Mutter ein mit der Überraschung des Ich-Erzählers, dass seine Mutter sagt, es gehe ihr gut. Das hat er bis dahin noch nie von ihr gehört, immer war alles schlimm und schlecht.
Die erzählte Zeit bleibt bei den drei Tagen, nimmt sich noch zwei zusätzliche bis zur Beerdigung. Darin wechselt Haas unmarkiert zwischen seinem eigenen Erleben (Besuch der Mutter im Heim, Spaziergänge ins Dorf und zu dem Haus, in dem er aufgewachsen ist) und den Erzählungen seiner Mutter (auch ohne Markierung klar am mundartlichen Duktus erkennbar und an den immer wieder eingeflochtenen “nit” und “gell”). Er gibt ihre Lebenserinnerungen so wieder, wie sie sie wieder und wieder erzählt hat, offensichtlich ohne eigene Nachrecherche oder Verifizierung, oft sagt sie “weiß ich nicht genau”: Arme Kindheit in Österreich unter vielen Geschwistern, Versuch einer Ausbildung, Unterbrechung durch Krieg, danach Beruf, Arbeit in der Schweiz, Schwangerschaft, Rückkehr ins Dorf – vieles kann sie nicht einordnen, kennt keine Hintergründe. Dadurch bleibt viel offen. Klar zutage kommt der schwierige Charakter dieser Frau, ihr Eigenbrötlertum, ihre Menschenfeindschaft. Sich selbst ordnet Haas als Kind darin kaum ein, lässt die Erzählung die Geschichte seiner Mutter sein.
Es ist der erwachsene Haas um die 60, der in der Echtzeit-Erzählebene sichtbar wird: Dessen Gedanken immer wieder zu der blöden Poetik-Vorlesung zurückkehren, die er noch vorbereiten muss. Der sich in linguistischen Überlegungen verliert, sich fragt, warum er eigentlich Bücher schreibt (Außen- und Innencover der Hardback-Ausgabe geben Hinweise, Wolfgang Tischer hat sie für die Besprechung in seinem Literaturcafé fotografiert), der sich nicht allzu ernst nimmt – eine typisch Haas’sche Stimme.
Das Ergebnis ist ein Büchlein, das Zeit einfängt, Orte und ein paar Menschen darin. Und das mir mal wieder bewiesen hat, dass Typisierung und Einordnung von Menschen immer löchriger werden, wenn man sich mit einer ganz konkreten Biografie beschäftigt.
(Und wie wenig ich bei genauerer Betrachtung das Leben meiner Mutter erzählen könnte.)
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Markus Beckedahl verabschiedet sich von der Plattform netzpolitik.org, die er vor 20 Jahren gegründet hat – und damit Internetgeschichte geschrieben:
“Danke, netzpolitik.org!”
Schöne Gelegenheit, mal wieder die Geschichte zu erzählen, wie ich vor 14 Jahren in einem Taxi in Österreich saß, es lief Radio, und die Redakteurin führte gerade ein Interview zu irgendeinem Internetthema – mit Markus Beckedahl. Meine erste Reaktion: Hahaha, jetzt müssen sie schon uns zum Internet fragen. (Im Sinne von: uns komische Blogger*innen.) Dann aber die Einsicht: Einen Besseren als Markus hätten sie nicht fragen können, irgendwer in dieser Redaktion kennt sich offensichtlich aus.
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Auch hier mal ein Gedicht!
“Der Bählauch”.
2 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 14. März 2024 – Wolf Haas, Eigentum“
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15. März 2024 um 9:04
Oh.
Ah.
Danke für die Erwähnung meines Bählauches.
Und das in einem Schwung mit dem großartigen Wolf Haas.
Also nicht direkt in einem Schwung, aber in einem Blogbeitrag.
“Des is ned nix ned.” würde man hier in Wien sagen.
15. März 2024 um 16:02
Wenn Sie so wenig über das Leben ihrer Mutter wissen, dann fragen Sie! Ich mache das mit meiner Mutter (77) regelmäßig, nicht immer ist sie bereit, aber immer öfter sehr offen und uneitel. Sehr spannend!