Journal Mittwoch, 10. April 2024 – Robert Menasse, Die Vertreibung aus der Hölle

Donnerstag, 11. April 2024 um 6:24

Eine gute Nacht, wunderbar. Allerdings begleitet beim Einschlafen und nächtlichem Klogang von wiederholtem Motoraufheulen eines (mehrerer?) Autos vorm Schlafzimmer. Ein neues Signal der Drogendealer vom Park? (Und auch etwas, was mit Verbrennungsmotor-Pkw aussterben wird, hähähä).

Ein kalter Morgen, ein kalter Tag, ich marschierte in dicker Jacke in die Arbeit, vermisste eine Mütze und ging noch schneller als eh, damit mir warm wurde. Ich begegnete glitzernd aufgebrezelten Menschen – erster Hinweis auf den gestrigen Start des Zuckerfests.

Zackiges Wegarbeiten am Morgen, denn um 9 Uhr startete eine Info-Veranstaltung online, die mich sehr interessierte. In einer Pause ging ich schnell auf einen Cappuccino bei Nachbars.

Dort wahrte eine neue Barista auch bei langer Schlange ihre Berufsehre.

Mehr interessante Info aus der Veranstaltung, nebenher die eine oder andere Anfrage aufgefangen. Zu Mittag gab es Apfel, Orangen, dann noch eine Mango (endlich mal wieder eine richtig gute) mit Sojajoghurt.

Am Nachmittag Veranstaltungsabschluss, dann berufliches Hantieren mit Heikelkeiten (meine Nerven – doch die sollten sich besser mal daran gewöhnen, das wird ab 1. Mai Tagesgeschäft). Doch unterm Strich, also bei Feierabend (am Ende des Tages, thihi) fühlte sich der Tag produktiv an.

Heimweg über Lebensmitteleinkäufe für die nächsten Tage beim Vollcorner und unter dunkel drohendem Himmel – doch ich kam trocken nach Hause.

Dort Häuslichkeiten und Yoga-Gymnastik. Zum Nachtmahl erfüllte Herr Kaltmamsell mir wieder einen Wunsch: Ich hatte im Magazin brandeins von dem rumänischen Polenta-Gericht Mămăligă gelesen, und wir hatten ja bayerische Polenta vom Biohof Lex im Schrank. Dazu stellte ich mir gebratenen Chicoree vor.

Wurde noch besser als erwartet: Die grobe Polenta schmeckte mehr nach Mais als die gewohnte feine und biss sich interessant, der gebratene Chicoree passte hervorragend zum Wermuth, mit dem er abgelöscht worden war und zum schwarzen Sesam.

Früh ins Bett zum Lesen, Reinhard Kaiser-Mühleckers Wilderer nahm mich mit aufs österreichische Dorf und in den unromantischen Alltag zeitgenössischer Landwirtschaft.

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Robert Menasse, Die Vertreibung aus der Hölle

Ich las das Buch angeregt und gern, tue mich dennoch schwer, dazu etwas zu schreiben.

Der Roman verläuft auf drei Erzählebenen:
Die erste spielt Ende der 1990er, als Viktor auf einem Klassentreffen (25 Jahre nach dem Abitur) statt etwas über seinen eigenen Werdegang zu erzählen, die Namen einiger der früheren Lehrer nennt und ihre NSDAP-Mitgliedsnummer. Umgehender Eklat, empörte Abgänge, nur er und eine Klassenkameradin bleiben zurück. Sie unterhalten sich, erinnern sich an ihre Schul- und revolutionäre Uni-Zeit.

Der zweite, damit verwobene Strang erzählt von Viktors Kindheit, Schulzeit und Jugend als Scheidungskind in den frühen 1960ern und Enkel von jüdischen Holocaust-Überlebenden in Wien.

Und dann die weite, in großen Kapiteln eingeschobene dritte Ebene: Die historische Geschichte des Rabbiners Samuel Manasseh ben Israel, geboren 1604 in Lissabon, aufgewachsen als vermeintlicher Christ, dessen Eltern von der Inquisition gefangen und gefoltert wurden, mit denen und seiner Schwester er nach Amsterdam floh.

Alle drei Handlungen werden personal und sehr nah am jeweiligen Protagonisten erzählt, vielschichtig und mit vielen Details in präzise-poetischer Sprache geschildert, nachvollziehbar und erlebbar gemacht.

Das las ich gefesselt, und doch. Sehr wahrscheinlich habe ich derzeit ein Problem mit Fiktionalisierung von geschichtlichen Epochen, je länger her, desto mehr (vielleicht eine Nebenentwicklung meiner Abneigung gegen based on a true story). Ständig stehen mir historisch fragwürdige Spielszenen aus populären Fernseh-Geschichtsdokus vor Augen. Aber das kann ich ja wirklich nicht dem Roman vorwerfen.

Denn: Ganz hervorragend erzählt fand ich das Großwerden von Viktor, der weder aus seinen Großeltern herausbekam, wie sie die Verfolgung im Dritten Reich überlebten, noch aus seinem Vater, deren Sohn, Details seines Kindertransports nach England. Sie schoben diese Schrecklichkeiten weit von sich, wollten nicht darüber sprechen. Erst am Schluss des Romans, bei seinen Großeltern erst nach deren Tod, erfährt er durch Begräbniswünsche Details dieser Vergangenheit.

Ähnlich das unermessliche Leid, das die Inquisition unter den verbliebenen Juden auf der iberischen Halbinsel im 17. Jahrhundert anrichtete (und das zu diesem wunderbaren Romantitel führte). In relativer Sicherheit nach der Flucht taten sie den Teufel, die erlittenen Grausamkeiten zu reflektieren, sondern konzentrierten sich einzig auf ihr Fortkommen und die Zukunft.

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Manche Menschen freut es, ihre Ausdrucksweise zu verbessern. Wenn Sie dazu gehören, vielleicht regelmäßig beruflich sprechen, mögen Sie dies hier lesen:
“Beeindruckungsrhetorik”.

Oder die aufgeschwurbelte Version (ich lerne ja von den besten): Manche Menschen holen sich positive Erlebnisse, wenn sie auf bessere Formulierungen hinarbeiten können. Sollten Sie sich mit dieser Gruppe identifizieren, in gewisser Regelmäßigkeit auch in beruflicher Umgebung als Sprecher oder Sprecherin auftreten, wollen Sie sich hier vielleicht Tipps für Verbesserungsmöglichkeiten holen.

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Celeste Barber demonstriert den Unterschied zwischen Menschen, die an “Beauty Routine” glauben und die Kosmetikindustrie (Arbeitsplätze!) am Leben halten (nicht ich) und Menschen ohne (ich).

die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 10. April 2024 – Robert Menasse, Die Vertreibung aus der Hölle

  1. Vinni meint:

    Ich ärgere mich immer über Spielszenen in historischen Dokus. Ja, natürlich hat der Töpferjunge am Fuße der Pyramiden genau am Dienstagnachmittag dem Pharao einen Topf überreicht *augenverdreh*

    Fakten sind doch spannend genug…

  2. Joriste meint:

    Vielen Dank für die links!
    Wie immer eine Bereicherung.
    Ich habe ‚so können sie ins Tun kommen‘ zuerst in der Waldorfbubble gehört (I know!) und dachte das kommt von dort..

  3. Croco meint:

    Danke für die Links.
    Die Beeindruckungsrhetorik ist allerliebst. Ich mag Verben.
    Und diese Kosmetikroutinen sind Verkaufsveranstaltungen. Die Frauen sind meist schon geschminkt, wenn sie mit den verschiedenen Seren anfangen. Das Zeugs spannt doch den Tag über! Und nur ein Mal ins Gesicht gefasst, schon hat man es sich in die Augen gerieben.

  4. N. Aunyn meint:

    Mamaliga ist auch in der süßen Variante mit Beerenobst sehr empfehlenswert.

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