Journal Mittwoch, 1. Mai 2024 – Diesig, sommerlich, feiertäglich
Donnerstag, 2. Mai 2024 um 6:27Eine gute Nacht, die für meinen Geschmack allerdings zu früh endete. Auch für den ersten Balkonkaffee, es war noch viel zu kalt. Nun, ich hielt mir das “Mehr vom Tag” vor Augen.
Für den Morgen war ich mit meinem Bruder zum Telefonieren verabredet, ich hatte schon viel zu lange nichts mehr aus seinem Leben mitbekommen. Das war dann ein schönes, ausführliches Telefonat.
Draußen hatte es wie angekündigt sehr schönes Wetter mit Sonnenschein und Wärme, allerdings sorgte wieder Saharasand für einen diesigen Schleier. Als ich zu meinem Isarlauf startete, war es bereits später Vormittag, ich wählte die Strecke direkt von der Haustür aus über Alten Südfriedhof Richtung Wittelsbacherbrücke und Thalkirchen. Ich lief beschwerdefrei, nur das letzte Drittel fühlte sich anstrengend an.
Allerdings war sehr viel los, klar bei diesem Wetter am Maifeiertag. Ich lief also in Schwaden von Grillanzündern und immer wieder Slalom durch Radln, Hunde, sommerlich gekleidete Menschen.
Hinter St. Stephan wird gebaut, aber laut Infotafel nur bis Juli.
Das Grab von Carl Spitzweg, allerdings ein Ersatzstein, wie ich aus einer Friedhofsführung weiß, der originale verschwand in den Wirren der Zerstörung durch Bombenangriffe im Oktober 1943.
Flaucher.
Unter der Brudermühlbrücke entdeckte ich neue Street Art.
An vielen Stellen wurde in der Isar gebadet.
Auf dem Weg zum Semmelholen im Glockenbachviertel schallte mir Blasmusik entgegen: Der Karl-Heinrich-Ulrichs Platz bekam gestern einen neuen schwulen Maibaum, das Rosa Stangerl.
Frühstück um halb zwei: Kürbissemmel, Grapefruit mit Joghurt. Obwohl ich extra nicht so viel gegessen hatte, wurde ich sehr müde – verkniff mir aber die Siesta, weil ich den Nachtschlaf auf den aufregenden Donnerstag nicht gefährden wollte.
Zeitunglesen auf dem Balkon, auf Linde und Ahorn davor eine sehr krähfreudige Krähe. Immer wieder fuhr eine Brise in die Baumkronen. Sie raschelten schon viel routinierter, vor zwei Wochen waren die Lindenblätter gerade erst jung und hell ausgeklappt, ihr Rascheln war noch eine sanfte, weiche Übung.
Neues Buch angefangen: Zoë Beck, Memoria. (The Night Watchman hat mir sehr gut gefallen, ich werde noch ausführlicher darüber schreiben.)
Fürs Abendessen war ich zuständig. Ich hatte mich an einen italienischen Braten erinnert, den ich in der ersten Zeit des Zusammenlebens mit Herrn Kaltmamsell mindestens zwei Mal gemacht hatte.
Mitte der 1990er hatte ich dieses Kochbuch, Das große Buch der italienischen Küche, bei einem meiner damaligen regelmäßigen Fischzüge durch reduzierte Bücher günstig erstanden. Ich fand die Rezepte interessant, glaubwürdig und gut geschildert, kochte viel aus diesem Buch (bevor es durch den GU-Meilenstein Die echte italienische Küche abgelöst wurde). Ein besonders abgefahrenes Rezept war Farsumagru, eine riesige Rinderroulade, die mit gewürztem Rinderhack, Käse, Speck und Ei gefüllt wurde. Meine vertraute Metzgereiverkäuferin damals in Augsburg beim Reiter schnitt die Roulade so aus der Oberschale, dass sie dreimal so groß wurde wie sonst.
Den Dreh hatte die Fachfrau am Dienstag nicht heraus, ich bekam statt dessen zwei doppelt große und legte sie übereinander.
Während der Braten garte, turnte ich sportliche Yoga-Gymnastik.
Ich war sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Und dann hörte ich auch noch das Schrillen der Mauersegler am Himmel, lief auf den Balkon: Jawoll, sie sind jetzt auch in der Innenstadt.
Früh ins Bett zum Lesen und mich verrückt Machen wegen Donnerstag, Letzteres gar nicht mal so schlimm.
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Nele Pollatschek nimmt sich in der Süddeutschen die aktuelle Debatte um Schwangerschaftsabbrüche vor – nein, im Grunde nicht nur die aktuelle, sondern die bereits seit Jahrtausenden geführte: “Höchste Zeit also, mal durchzusortierten.”
“Schwere Geburt”.
Besonders interessant finde ich diesen Gedankengang:
Das eigentliche argumentative Problem der §218-Befürworter ist aber ein ganz anderes, das auch im Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung deutlich wird. Hier heißt es: “Dem Staat obliegt eine Schutzverpflichtung zugunsten des ungeborenen Lebens, die er letztlich aber nur mithilfe der Schwangeren erfüllen kann.” Die entscheidende Frage ist daher nicht “Was ist (potenzielles) Leben?”, sondern: “Was darf ein Staat einem Bürger antun, um das Leben eines anderen Bürgers zu erhalten?” Hier ist die Antwort, die der Gesetzgeber in allen Fällen außer §218 gibt, erschreckend eindeutig: nichts.
Wo ein Bürger eine Niere zum Überleben braucht und ein anderer Bürger zwei kompatible Nieren besitzt, darf der Staat nicht einfach zugreifen. Wo das Leben eines leukämiekranken Kindes nur durch eine Rückenmarkspende gerettet werden kann, darf der Staat sich nicht gegen den Willen eines kompatiblen Spenders bedienen. Nicht mal einen so minimalinvasiven Eingriff wie eine Blutspende darf der Staat zum Lebensschutz erzwingen. Sogar vor einer posthumen Organspendepflicht schreckt er zurück. So ernst nimmt der Staat das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, dass er es seinen Bürgern erlaubt, ihre toten Körper in Erdlöchern verrotten zu lassen, anstatt mit den Organen anderen das Leben zu retten.
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Schon mal zum Einmerken:
8. Juni, 16 Uhr auf dem Königsplatz Demo gegen Rechtsextremismus.
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“Autorin über Nachwendekinder: ‘Ich feiere Nie-Wieder-Vereinigung'”.
Die Aufarbeitung der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland fängt gerade erst an. Die gesellschaftlichen und persönlichen Spuren sind tief. Zum Beispiel die von Paula Fürstenberg, 1987 in Potsdam geboren.
Meine Urerfahrung von Welt ist: wirklich überall Baustelle. Niemand weiß, wo es langgeht. Diese Straße heißt morgen anders, die Leute haben morgen einen anderen Beruf.
(Ich erinnere mich an eine Mitpatientin der Reha in Bad Steben aus Erfurt, die erzählte, mit welch wackligem Lehrplan und Material ihre Kinder in der Grundschule unterrichtet wurden: Die alten gingen ja wohl nicht mehr, neue waren aber noch nicht beschlossen.)
die Kaltmamsell2 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 1. Mai 2024 – Diesig, sommerlich, feiertäglich“
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2. Mai 2024 um 9:58
Rückenmarkspende? Ich glaube, die Autorin meinte Knochenmarkspende.
Und ein Spermium ist lebendig, es bewegt sich, hat Stoffwechsel. Die Eizelle ebenfalls. Nur eben für ein paar Tage. Das kümmert seltsamerweise niemanden. Ich warte drauf, dass man argumentiert, dass jede mögliche Eizelle auch befruchtet werden muss. Die Zeiten hatten wir schon mal. Nein, muss sie nicht.
Logisch ist die Diskussion ja nicht. Wer gegen Abtreibung bei anderen Leuten ist, muss auch das Kind großziehen wollen wenn es dann da ist. Nein, auf keinen Fall, das sollen diejenigen machen, die das Kind nicht wollten.
Der Staat soll Leben schützen, ohne Frage. Aber alles kann er nicht regeln. Die Grenzen sind eben unscharf.
2. Mai 2024 um 16:55
Großartiger Artikel von Pollatschek, danke fürs Teilen.