Theater

Journal Mittwoch, 19. März 2025 – Jan-Christoph Gockel, Oh Schreck!

Donnerstag, 20. März 2025

Guter Schlaf, wie schon in den Nächten davor schien der Mond (derzeit deutlich abnehmend) vom wolkenlosen Himmel volle Kanne auf mein Bett.

Diesmal dachte ich daran, trotz strahlender Sonne die warme Winterjacke für den Marsch in die Arbeit anzuziehen: Es war wieder deutlich frostig, im Ledermantel war mir zu kalt gewesen. Weiterhin Applaus für den Frost, der hoffentlich auch weiterhin die blöden Obstbäume davon abhält vorzeitig zu blühen und sich der Gefahr später erfrorener Blüten auszusetzen – ich bin auch Natur, und diese Natur will im Sommer Kirschen, im Spätsommer und Herbst Äpfel und Zwetschgen.

Gut strukturierte Arbeit, ich bekam den Tisch leer. Raus auf einen Mittagscappuccino im Westend, es war dann doch noch warm genug für Mützen- und Handschuhlosigkeit geworden.

Backsteinkirche mit runden Formen vor knallblauem Himmel

St. Rupert

Zu Mittag gab es Hüttenkäse und die Kerne eines Granatapfels.

Überfrüher Feierabend, denn für abends hatte ich Theaterpläne. Und ich hatte wieder mit einem Termin zum Beinenthaaren sichergestellt, dass ich auch wirklich sehr früh gehen würden.

Nach der Beinkosmetik holte ich meine gekürzte Hose von der Schneiderin, kaufte noch im Vollcorner Milchprodukte und Obst.

Diesmal begleitete mich Herr Kaltmamsell in mein Theaterabo an den Kammerspielen, ich hatte ihn für Oh Schreck interessieren können, “eine Vampirkomödie von Jan-Christoph Gockel inspiriert von F. W. Murnaus ‘Nosferatu’ und dem Leben von Max Schreck”. Also servierte er Abendessen etwas früher als sonst: Es gab die restlichen Ernteanteilkarotten als Ofenfritten, außerdem Tellerlinsen und Orecchiette.

Gedeckter Tisch mit weißen Sets, im Vordergrund ein weißer, tiefer Teller, rechts darain gekochte Linsen, links gekochte Nudeln, dahinter ein Glasteller mit gebackenen Stiften violetter Karotten

Balsamico auf die Linsen, Olivenöl auf die Orecchiette, die Karottenfritten (Sorte Purple Haze) waren besonders gut geraten.

Im letzten Abendlicht unter weiterhin wolkenlosem Himmel spazierte ich mit meinem Haus-Vampirologen in die Maximilianstraße.

Blick von rechts auf eine Theaterbühne, darauf ein riesiger goldener Bilderrahmen, darin in verlaufenden roten Buchstaben "Oh Schreck!"

Der Zuschauerraum war nahezu voll besetzt, das hatte ich in den Kammerspielen schon sehr lang nicht mehr erlebt. Das Stück begann mit einem Monolog des betagten Walter Hess vom Bühnenrand, der wie in der Soliloqui vor vielen Shakespeare-Stücken das Setting erklärte: Die Menschen, die an den Kammerspielen arbeiten, sind alles Vampire, ein Regisseur von außerhalb inszeniert mit ihnen Nosferatu. Das war sehr praktisch, das musste also schonmal nicht per Handlung erklärt werden.

Und dann erlebte ich nach Langem mal wieder einen richtig schönen Kammerspiel-Abend. Ich hatte Klamauk befürchtet, doch auf der Bühne fand wirklich Lustiges statt: Mit verschiedensten Medien (das also wie immer) kamen Versatzstücke aus mehreren Jahrhunderten kultureller Verarbeitung des Vampir-Mythos zusammen, die Klammer war der Umstand, dass der Hauptdarsteller des Nosferatu-Films von 1922, Max Schreck, lange Jahre an den Münchner Kammerspielen gearbeitet hatte – und möglicherweise bis heute dort haust.

Besonders gut gefiel mir die Umsetzung der Ansage, diesen Stummfilm auf die Bühne zu bringen: Nämlich mit fast lebensgroßen Marionetten (Michael Pietsch), die vor die Darstellenden gebunden wurden, Text hinter ihnen auf die Bühne projiziert. Auch sonst schöne Ausstattungs- und Masken-Ideen, wundervolles Schauspiel. Den Vogel schoss Katharina Bach als Kristine van Helsing ab (mal wieder eine Schauspielerin, die mir seinerzeit vom ersten Anblick an entgegenbrannte mit ihrer PRÄSENZ!): Sie trat mit einer Slapstick-Nummer auf, die in einem Wortspiel-Monolog mündete, mit einer René-Polesch-Gedächtnis-Spachkaskade.

Für eine Szene wurden die fünf Bühnenarbeiter auf die Bühne geholt, die zuvor mehr oder weniger sichtbar Bühnenbild geschoben hatten, Katharina Bach verwendete sie als Requisiten für einen weiteren wunderbar irren Monolog – und das war schon sehr rührend, diesen ganz echten Nicht-Schauspielern beim Durchhalten zuzusehen.

Herzerfrischung rundum, ich kam lächelnd aus dem Theater, ließ mir auf dem Heimweg von Herrn Kaltmamsell (“Was willst du wissen? Was willst du wissen? Komm, frag mich!”) unter anderem Publikationshintergründe zu Nosferatu erzählen.

§

Comedian John Mulaney versucht – wie so viele – ein Bild für die Weltsituation zu finden. Er nimmt: “There’s a horse loose in a hospital.”

Journal Samstag, 1. Februar 2025 – Uni-Erinnerungen

Sonntag, 2. Februar 2025

Gut und lang geschlafen, interessant geträumt. Gemütliches Bloggen, Nachlesen der Mastodon-Timeline der vorhergehenden 24 Stunden – anhand der Verarbeitung dort auch tagespolitische Ereignisse des Vortrages nachverfolgt, ähnlich wie die Aufzeichnung eines Sport-Ereignisses.

Erst beim ersten Auftauchen von Lieblings-Microblogging-Posts in dieser Timeline bemerkte ich, dass ich selbst die für Januar komplett vergessen hatte. Vermutlich wäre ich eh nicht dazu gekommen, aber diesmal hatte sie einfach vergessen.

Fester Plan war Schwimmen gewesen, vor allem hatte ich darauf gehofft, dass dadurch die seltsamen Kreuz-/Hüftschmerzen verschwinden würden. Doch als es Zeit für Packen und Aufbruch wurde, hatte ich keine Lust. In diesem Fall fiel das Hadern aus: Ich hatte ja Urlaub, also verschob ich die Schwimmrunde einfach auf Montag – an dem ich ursprünglich wandern wollte, für den mir aber keine wirklich attraktive Route eingefallen war.

Statt dessen: Schweizer Sonntagszopf! Ich hatte sehr im Kopf, dass noch ein angebrochener Würfel Hefe im Kühlschrank mit Vergammeln drohte. Während der Teig ging (ohne Ei, weil keines im Haus, aber ich wusste ja, dass er auch ohne funktionieren würde), duschte ich und ging auf eine Einkaufsrunde – für die ich energisch “Blumen” auf die Liste setzte, schließlich konnte ihr Anblick mich in der Urlaubswoche besonders häufig erfreuen.

Die Front eines sehr alten Kinos mit leeren Schaukästen, mit verblichen rotem Samt ausgekleidet, über dem Eingang die Buchstaben "Filmtheater Sendlinger Tor", ein Mann mit Wollmütze und Jeans geht gerade vorüber

Trauriger Abschied von einer Kino-Institution:1 Das Kino Sendlinger Tor ist jetzt Vergangenheit, Mitte Januar war die letzte Vorstellung.

Auch in den Nachbarschafts-Blumenladen bog ich ein, bewunderte beim Warten die überraschend große Auswahl an Nelken, nahm davon ein paar in Dunkelweinrot mit, die Kundin nach mir war eine der örtlichen Verkehrswächterinnen.

Weiterarbeit am Sonntagszopf, wieder scheiterte ich am zweisträngigen Flechten (vielleicht fehlt mir einfach die Ablenkung durch ein Gespräch über Relativitätstheorie), aber das Ergebnis war zopfoid.

Durch die Backofenscheibe fotografierter Hefezopf, der gerade am Aufgehen ist, noch ungebräunt

Meiner Nase traue ich beim Backen mehr als der Uhr: Wenn der Duft meldet “Hefezopf 1 Minute über fertig”, kann die Uhr noch so sehr anzeigen “noch 5 Minuten Backzeit” – Zopf kommt raus.

Aufsicht auf glänzend braun gebackenen Hefezopf auf Backpapier auf Blech

Nach 20 Minuten Abkühlen ließ er sich in flaumige Stränge zupfen, die ich mit Käse und Orangenmarmelade genoss. Ich freute mich sehr darüber, dass ich backen kann.

Zeitungslektüre, doch dann holte ich die Lieblingsmicrobloggingpostst nach: Die nächste Runde hat bereits die Bundestagswahl hinter sich, Vieles würde sich überholt haben.

Programm war gestern ein Ausflug nach Augsburg: Herr Kaltmamsell ist immer noch im Verteiler des Anglistentheaters der Uni Augsburg, dessen Teil er als Student war (nicht auf der Bühne, sondern mit Orga und Ticketverkauf), und jetzt hatten wir uns nach Jahrzehnten aufgerafft, mal wieder Tickets für eine Vorstellung zu kaufen. (Wir haben beide an der Uni Augsburg studiert, uns dort als Hiwis kennengelernt.) Gegeben wurde Dracula: A Postmodern Postmortem, eine Verarbeitung von Bram Stokers Roman von 1897.

Das Hinkommen war gar nicht so einfach: Die Regionalbahn, die uns mit unserem Deutschlandticket rechtzeitig für einen Abend-Snack vor der Vorstellung nach Augsburg bringen sollte, fiel aus – „Grund ist die kurzfristige Erkrankung des Personals.“ Herr Kaltmamsell spendierte kurzerhand zwei ICE-Tickets, doch in diesem schickeren Zug saßen wir erstmal: Er fuhr „auf unbestimmte Zeit“ nicht ab, „wegen fehlendem Personal“.

Schließlich kamen wir aber nach Augsburg, zu spät für ein Einkehren (wir hatten nach dem vielen warmen Sonntagszopf eh noch keinen Hunger), doch mit reichlich Zeit für einen Spaziergang übers Uni-Gelände.

Augsburg hat eine Campus-Uni im Süden der Stadt, wir versuchten uns in der nächtlichen Szenerie zu erinnern, welche Gebäude und Infrastruktur es zu unserer Zeit schon gab (Abschluss 1995 – mein Studiengang Englische Literaturwissenschaft existiert längst nicht mehr, nicht mal mehr mein Studienabschluss Magister), sahen in der Zentralbibliothek vorbei (die rosa Zettel damals für Fernleihe!), rekonstruierten unsere Recherche-Wege durch die Bibliotheksgebäude als Hiwis, guckten von außen in die stille Cafeteria. Ich hatte schon sehr lang nicht mehr an diese Zeit gedacht. (Damals, krächzte sie, gab es ja noch nicht mal die Straßenbahn raus zur Uni, es fuhr nur ein Bus, und die Haltestelle hieß “Alter Postweg, Universität” – mit Universität als Nebensache.)

Vertraut war das Hörsaal-Gebäude, in dem das Theaterstück aufgeführt wurde.

Kunstbeleuchtetes Foyer eines modernen Hörsaalgebäudes, vom ersten Stock aus fotografiert; der Boden besteht aus Pflastersteinen, Wände und Treppen aus Beton, links sieht man eine gelbe Hörsaaltür, manche Blenden sind grün. Vereinzelt stehen Menschen herum

Ich weiß, dass rechts unten ein öffentlicher Telefonapparat hing, unter anderem weil ich daran im ersten Semester für meine allererste Uni-Seminararbeit telefonierte, die gleich mal ein großes Abenteuer war (Nebenfach Alte Geschichte, Proseminar Epigrafie, Inschriften aus der späten Kaiserzeit) – die Geschichte habe ich immer noch nicht erzählt.

Im gut gefüllten Hörsaal fühlte sich der Holzsitz unterm Po durchaus vertraut an (und immer noch bequemer als die Sitze in den Münchner Kammerspielen, aber dazu gehört nicht viel), der heruntergeklappte Tisch machte das Sitzen noch bequemer – ich sitze einfach am liebsten an einem Tisch.

Das konventionelle Bühnenbild mit realistischen Möbeln und einem silbernen Theaterdeko-Sarg bereitete mich auf die Art der Inszenierung vor. Bis zur Pause fühlte ich mich gut unterhalten von der leichten und immer wieder scherzhaft erklärten Geschichte um Jonathan Harkers Reise zu Graf Dracula, das war liebevoll und mit Herzblut (haha) gemacht. Nach der Pause allerdings zog sich der Abschluss der Handlung in Wiederholungen, da half auch Klamauk nicht.

Draußen war es knackig kalt, statt an der Uni auf die nächste Tram zu warten, marschierten wir eine Haltestelle weiter. Dann erwischten wir aber gleich eine pünktliche Regionalbahn zurück nach München – auch wenn wir in Pasing nochmal umsteigen mussten (am Wochenende immer Bauarbeiten), kamen wir noch vor elf nach Hause. Hunger hatten wir beide immer noch keinen echten, doch aus Vernunftgründen bereitete Herr Kaltmamsell aus den Fertig-Gnocchi im Kühlschrank mit Käsesauce ein kleines warmes Abendessen zu.

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Nochmal Prof. Drosten zu Corona – mei, er ist halt auch weiterhin weltweit führend in der Sars-CoV-Forschung, es ist nur seriös, sich mit Fragen dazu an ihn zu wenden. Zum Beispiel mit Fragen über den Forschungsstand zum Ursprung des Sars-CoV-2-Virus.
“Christian Drosten
‘Je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich'”.

(Herzchen für den Schlusssatz:
“Drosten: Mitdenken ist anstrengend. So ist das nun mal.”)

  1. Sehr schön in der kleinen Doku: Der Sprachunterschied zwischen den Generationen – eine spricht noch Bayrisch, die nächste komplett ungefärbtes Deutsch, rollt nichtmal das R. []

Journal Mittwoch, 29. Januar 2025 – Henrik Ibsen, Gerhild Steinbuch, Ensemble, Baumeister Solness

Donnerstag, 30. Januar 2025

Zu regnerischer Düsternis aufgestanden, doch bis zu meinem Arbeitsweg hatte zumindest der Regen aufgehört.

Emsiges Arbeiten am Schreibtisch, auch eine kleine Schulung dabei, während das Wetter immer schöner wurde. Auf dem Weg zum Mittagscappuccino in der Nachbar-Cafeteria bekam ich bereits ein wenig Sonne ab, nach Mittag wurde es dann so richtig blauhimmlig sonnig. Das freute mich umso mehr, als dass ich das Haus sehr früh verlassen würde: Abends Theatertermin, und ich hatte mit einem Enthaarungstermin um vier sichergestellt, dass ich auch wirklich kurz nach halb vier Feierabend machen würde.

Mittagessen: Apfel, Avocadochen, Granatapfelkerne mit Joghurt.

Emsiger, aber sehr kurzer Arbeitsnachmittag, dann eilte ich hinaus in den herrlich sonnigen Tag und zum Beinwachsen. Langsam scheinen die Haare tatsächlich weniger zu werden, wie Frau Wachserin anfänglich angekündigt hatte.

Auf dem Heimweg Lebensmitteleinkäufe, unter anderem fürs Brotbacken in meiner Urlaubswoche. Das alles brachte mich zur letzten Dämmerung nach Hause. Vor dem Aufbruch ins Theater passte noch Yoga-Gmynastik, als vorverlegtes Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Erbseneintopf aus Schälerbsen, verwendete restlichen Lauch, Karotten, Kartoffeln aus Ernteanteil.

Gegeben wurde gestern in den Kammerspielen von Henrik Ibsen, Gerhild Steinbuch, Ensemble, Baumeister Solness. Der Zuschauerraum war nur zu einem guten Drittel besetzt, kein gutes Zeichen.

Und so sah ich die sich fragmentarisch entwickelnde Geschichte des namensgebenden Baumeisters, der sich trotz seines Status und Erfolgs vor der nächsten Generation fürchtet, immer mehr zeigt sich die Geschichte seiner Vergangenheit. Das alles ausschließlich im düsteren, unheilverheißenden Katastrophenmodus inszeniert und gespielt; so harmlos konnte ein Austausch der Schauspielenden im Vordergrund gar nicht sein, dass nicht noch im Hintergrund drohende Schatten, böse pulsierende Musik, die Filmprojektion eines verzerrten Gesichts oder eine sich wortlos in Pein windende weitere Schauspielerin darauf deuteten, wie schlimm und schrecklich alles war. Leider ging das gestern Abend an mir vorbei, ich hielt mich an der Aussicht fest, dass das Stück nur 90 Minuten dauerte.

Und dann wurde abschließend auch noch eskalierend gebrüllt, vermutlich waren das die selbst hinzugefügten Texte, denn ich hörte mehrfach: “Die Scham muss die Seite wechseln!” In meinen Augen und Ohren war die Inszenierung heillos an Mitteln überladen (ist das die Sorte, zu der Rezensent*innen “furios” schreiben?). Interessant fand ich aber, dass die Dialoge meist übereinander gelagert gesprochen wurden, das gab ihnen eine faszinierend realistische Note.

Applaus pflichtschuldig (ein Thema des Stücks spiegelnd, hihi), die Leute auf der Bühne konnten ja nichts dafür, ganz vorne allerdings versprengt Aufsteher*- und “Bravo”-Rufer*innen, ich vermutete Freunde und Familie.

Beim Heimmarsch durch die leere Fußgängerzone war es immer noch ein wenig mild, ich lag nur eine halbe Stunde später als gewohnt im Bett.

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Eine Folge BR-Lebenlinien über den Mann hinter dem Münchner Restaurant Schmock – dem alten und dem neuen: Florian Gleibs.
“Mit Chuzpe und Omas Rezepten”.

via @Klugscheisser

Es kommt auch das Café Puck drin vor. (Ich vermisse das alte, herrlich schabernackige Schmock bis heute. Verstehe die Gründe für die Schließung aber.)
Und ja, zefix, dann habe ich halt doch Florian Gleibs Kochbuch bestellt, an das ich mich erinnerte: Wir Münchner*innen können die levantinische Küche ja nicht völlig Ottolenghi überlassen.

Journal Sonntag, 22. Dezember 2024 – Laufwetterglück, Eine Zierde für den Verein im Marstall

Montag, 23. Dezember 2024

Aaaaah, endlich das tiefe, lange, gute Ausschlafen, das ich so sehr gebraucht hatte: Es war nach halb acht, als ich richtig aufwachte, selbst das 7-Uhr-Läuten vom Kirchturm hatte ich nur kurz und entfernt wahrgenommen.

Draußen goss es in Strömen, ich konnte nur hoffen, dass sich das bis zu meiner geplanten Laufrunde zumindest zu leichtem Regen beruhigen würde.

Allergemütlichstes Bloggen. Nachlesen nächtlicher Timelines. Erster eindeutiger Spam auf Mastodon, und das nach *checkt Profil* über zweieinhalb Jahren – das ist zum einen dem sehr sorgfältigen Admin zu verdanken, zum anderen aber auch der dezentralen und Non-profit-Kultur des Fediverse.

Der Regen regnete weiter unbeeindruckt, milderte aber zu sanftem Landregen ab. Na gut, dann war das halt die Testgelegenheit für meine neue Laufregenjacke.

Spiegelselfie einer Frau in schwarzen Laufhosen und grellgelber Regenjacke mit übergezogener Kapuze

Ich nahm eine U-Bahn zum Odeonsplatz. Als ich an die verregnete Oberfläche trat, beschloss ich: Es wird ja wohl auch mal ohne Fotos auf der Laufstrecke gehen. 15 Sekunden später: Oh, interessante Pfützen!

Regnerisches Draußen, kahle Bäume auf Schotterfläche mit Pfützen, im Hintergrund eine kahle Hecke, ein barocker Pavillon

Bereits vor dem Monopteros hörte der Regen auf, die Jacke musste sich nicht bewähren. Das freute auch mein Gehör: Kapuze bedeutet halt immer Rascheln an den Ohren, das ich als extrem laut empfinde.

Marmorne Ruhmessäule in einem offenen Pavillon aus Marmorsäulen, im Hintergrund sieht man Parkbäume, Stadtsilhouette

Monopteros ganz für mich – fast, hinter der Säule standen zwei Personen.

Matschiger Fußweg zwischen Wiese und Bäumen, der auf einen Fluss zuläuft, darüber dunkelgrauer Himmel

Aufs Föhringer Wehr zu sah ich sogar ein blaues Wolkenloch. Dann die große Überraschung: An der Brücke St. Emmeram war der Isarweg nicht nur nicht gesperrt, alle Sperrschranken waren sogar weggeräumt: Die neue Brücke Föhringer Ring war bereits fertig, man kann wieder die Isar entlang durchlaufen und -radeln – wie ich auf dem Rückweg feststellte, sogar auf beiden Uferseiten. Es gibt also auch Baustellen, die nicht ewig währen.

Neue, funktionale Betonbrücke von der Seite

Fertig!

Blick in eine überdachte Holzbrücke über einen Fluss

Emmeramsbrücke mal ganz leer.

Im Vordergrund ein Brückengeländer, dahinter Blick auf einen Hügel mit kahlen Bäumen, oben ein weißer Kirchturm mit rotem Spitzdach

St. Lorenz.

Die unerwartet aufgehobene Sperrung und das Regenende verführten mich zu einem längeren Lauf als geplant, doch erst die letzten 10 Minuten meiner 1 Stunde 50 fühlten sich anstrengend an. Ich nahm vom Tivoli einen Bus zur Giselastraße, von dort die U-Bahn nach Hause.

Blick hinunter auf Unterschenkel in schwarzen Laufhosen und hellblaue Laufschuhe, ziemlich Matsch-beschmutzt

Matschig war der Lauf aber dann doch gewesen – eine ganz organische Dämpfung der schreienden Laufschuhfarbe.

Semmel- und Brotkauf beim Rischart im U-Bahnhof.

Frühstück um halb drei zu Gewittergrollen, gleich drauf Hagel, Regen, Schnee. Ich war sehr dankbar für die trockene Laufrunde! Es gab eine Orange, außerdem Körndlbrot mit Butter, Pflaumenmus, Nocilla. Um halb vier schaltete ich bereits wieder die Lichter gegen das Nachtdunkel ein.

Abends war ich zum Theaterbesuch verabredet: Marieluise Fleißers einziger Roman Eine Zierde für den Verein auf die Bühne des Marstall-Theaters gebracht.

Im Marstall war ich noch nie gewesen, kannte nur die imposante Fassade und konnte mir nicht recht vorstellen, wo es da reingehen sollte: Doch, genau durch das riesige Tor in der Mitte. Das Gebäude ist innen völlig hohl, der Theaterraum an einer Stelle eingesetzt, auch Kasse und Garderobe sind lediglich Hütten – allein das fand ich schon spannend.

Die Inszenierung gefiel mir ausgezeichnet. Den Roman kannte ich ja, und die Schauspieler*innen trugen für die Handlung die Ausschnitte vor, die zu ihnen gehörten (also in der dritten Person über sich selbst).

Regisseurin Elsa-Sophie Jach verließ sich zum Glück ganz auf Marieluise Fleißers einzigartige Sprache, auch das klare Bühnenbild und die Kostüme (fast ausschließlich in den Farben Schwimmbadblau und Rot) ließen ihr genug Raum.

Für mich ist das Grundthema des Romans, wie sich Gewalt in einer Gesellschaft ausbreitet, ganz stark in der Sprache angelegt. Einer Sprache, die zwar poetisch und schön ist, aber etwas sehr Wuchtiges hat.

(…)

Ich halte (…) ihre Sprache letzten Endes für eine Kunstsprache, die natürlich stark vom Bayerischen geprägt ist, sich aber schwerlich nurdialektal behandeln lässt. In den Proben hat es uns deshalb geholfen, einen eigenen Gestus zu (er-)finden: als würden die Worte quer im Mund stehen.

Dazwischen aus dem Off vorgelesen an wenigen Stellen: Tagebucheinträge von Marieluise Fleißer zu diesem Stück. Ich bin ja sonst etwas heikel was Eigeninterpretationen von Schriftsteller*innen betrifft, doch diese Ausschnitte lieferten lediglich autobiografischen Hintergrund für eine weitere Wahrnehmungsebene.

Die Themen des Stücks von vor 100 Jahren waren völlig aktuell: Männliche Macht in Liebesbeziehungen, faschistische Mechanismen, keine Spur von Optimismus.

Anschließend kehrte ich mit meiner Begleitung in die Pfälzer Weinstube ein, wie es wohl nach Besuchen in den umliegenden (vielen) Theatern unter Münchner*innen so üblich ist. Ganz direkt durch die Residenz konnten wir nicht gehen: Ein Security-Herr lotste uns um, weil gerade der Christkindlmarkt bereits abgebaut wurde.

In der Pfälzer Weinstube saßen wir im Obergeschoß, wo es sehr laut war, aber zu zweit nebeneinander ging’s. Mein Abendessen war ein (wie immer dort reichlich eingeschenktes) Viertel Grauburgunder sowie Bauernsülze mit Bratkartoffeln – ganz wunderbar.

Austausch von Eindrücken zur Inszenierung, zu Weihnachtsplänen, was bisher geschah. Als ich die Begleitung zur U-Bahn Odeonsplatz begleitete, stürzte vor unseren Augen eine Radlerin in der Kurve. Wir versicherten uns, dass sie sich nichts getan hatte, und ich war froh um die resultierende Erkenntnis, dass Straßen und Wegen eisglatt waren: Statt nach Hause zu spazieren, nahm auch ich die U-Bahn. Beim Aussteigen am Sendlinger Tor erfreute mich noch ein Mäuschen, das unter eine Säule huschte.

Journal Mittwoch, 11. Dezember 2024 – Amerika / Der Verschollene an den Kammerspielen

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Eigentlich gute Nacht, aber einmal weckte mich das Bauchzwicken, das mich bereits am Vortag im Büro geplagt hatte – vermutlich also nicht durch eine konkrete Speise ausgelöst.

Auf einem dunklen, gepflasterten Platz stehen einige geschlossene, aber Lichter-verzierte Christkindlmarkt-Buden, im Hintergrund die Gebäude des Verkehrsmuseums

Der Dezember behielt sein Dunkelgrau gleich an, was ich aber erst im Büro richtig sah, denn erst dort wurde es hell genug für Wettereinblick.

Arbeit gut machbar, Mittagscappuccino in der Nachbar-Cafeteria, Mittagessen Pumpernickel mit Butter sowie ein paar Mandarinen.

Ich machte gestern besonders früh Feierabend, denn ich hatte abends einen Theatertermin: Da ich den ersten meines Abos Anfang Oktober wegen zu viel Arbeit verfallen hatte lassen, stieg ich erst gestern in die aktuelle Saison ein.

Ich verließ das Büro also noch vor vier, draußen hatte der Tag alle Bemühungen um Tageslicht fahren lassen und sich bereits der Abenddämmerung ergeben. Die zusätzliche freie Zeit verwendete ich für Weihnachtsgeschenkeinkäufe, zunächst im Einkaufszentrum Schwanthalerhöhe (wo es die angesteuerten Läden bereits nicht mehr gab, der ständige Wechsel dort ist kein gutes Zeichen), dann in der Sendlinger Straße (Erfolg 1), Kaufhof am Marienplatz, in umliegenden Läden (Erfolg 2).

Daheim hatte ich sogar noch Zeit für etwas Yoga-Gymnastik, bevor Herr Kaltmamsell das vorgezogene Nachtmahl servierte: Krautwickel aus eingefrorenen Ernteanteil-Kohlblättern, Nachtisch Milchreis.

Marsch zu den Kammerspielen unter Umgehung der dichtesten Christinklmarkt-Menschenansammlungen. Gespielt wurde gestern Amerika / Der Verschollene “nach dem Romanfragment von Franz Kafka in einer Fassung von Charlotte Sprenger und Olivia Ebert”, 2 Stunden 40 Minuten mit einer Pause, ich wappnete mich für Durchhalten.

Auf einer dinklen Theaterbühne steht in einem Lichtkegel ein schwarzer Fügel, links daneben ein Schauspieler im Kostüm der Freiheitsstatue

Leider konnte ich mit dem Bühnengeschehen nichts anfangen. Ein wenig wurde die Geschichte von Karl Roßmann erzählt, das halt fragmentarisch expressionistisch, jaja: fremde Umgebung, amerikanischer Erfolgsgedanke, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Doch was war daran Kafka? Inhalte werden schon seit Jahren nicht-realistisch auf die Bühne gebracht, sondern mit grotesken, absurden Erzählmitteln, in grellbunten Schlaglichtern. Kafkas literarische Weltsicht ist längst die Basis aller Inszenierungen.

Wie immer sehenswert: Die Schauspielerinnen und Schauspieler, allen voran Katharina Marie Schubert in der Hauptrolle, die sensationell wandelbare Jelena Kuljić, Philipp Plessmann als Freiheitsstatue und am Piano, Maren Solty und Johanna Kappauf sehe ich immer gern. Lustige, kreative Kostüme und Perücken gab es auch (Aleksandra Pavlović), aber das reicht nicht für einen so langen Theaterabend. Abschließend trat Maren Solty an die Bühne und las einen Appell gegen die Streichungen im Münchner Kultur-Etat vor, forderte zum Unterzeichnen eines offenen Briefs auf.

Der Zuschauerraum war anfangs nicht mal zur Hälfte gefüllt, nach der Pause nur noch zu einem Drittel – was mir immer ungemein für die Truppe auf der Bühne leid tut (weswegen es sehr viel mehr braucht als eine Inszenierung, die an mir vorbeigeht, um mich zum Aufgeben zu bringen).

Zackiger Marsch durch die dunkle Innenstadt mit überraschend viel Unterwegs-Volk, damit ich nicht allzu spät ins Bett kam.

§

“Umwelthilfe geht wegen Straßenlärm gegen 21 Städte vor”.
Wollen wir raten, wie die Boulevard-Schlagzeilen dazu aussehen? Ich fange an:
MAULKORB FÜR PKW
SCHLUSS MIT ‘JETZT RÖHR I’
MOTORVERBOT FÜR MÜNCHEN

§

Kirsten Fuchs slamt über Hitzewallungen, und es sollte viel mehr wütend über diesen Scheiß geslamt werden.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/EB-6ZDVcqq4?si=-wUkQuHGc9DsjrYr

via @maske_katja

Journal Mittwoch, 5. Juni 2024 – Elfriede Jelinek, Asche

Donnerstag, 6. Juni 2024

Das Weckerklingeln war gestern sehr wenig willkommen, ich freute mich aufs Ausschlafen am Samstag. Und erinnerte mich an die nächtliche Krampfattacke: Nach Monaten ohne hatten linker Fuß und linke untere Wade gekrampft, ich hatte mich ein paar Mal in die Vorwärtsbeuge dehnen müssen, um das wegzukriegen (jede Dehnung an Fuß oder Bein hatte lediglich andere Muskeln in Krämpfe gejagt).

Der Tag wurde sonnig hell, ich musste mich aber aktiv daran erinnern, dass ich jetzt die längsten Tage im Jahr genießen sollte. Diese Hochwassersache schlägt mir wirklich aufs Gemüt, irgendwas in mir hat sich noch nicht von der existenziellen Erschütterung durch die Pandemie (ja, wir verdrängen das gesunderweise, aber es war wirklich, wirklich schlimm) erholt und lässt die Flügel hängen.

Für den Weg in die Arbeit ließ ich die Jacke daheim, um sie bei angekündigt warmem Feierabend nicht heimtragen zu müssen. Ich fror nicht mal.

Im Büro geordnete Emsigkeit, der Störfaktor Hochwasser war bereits eingeplant.

Überraschung: Ein richtiger Spam-Anruf auf mein Handy, von Düsseldorfer Festnetz-Nummer aus (bei den extrem seltenen Anrufen auf mein Handy gehe ich immer erstmal von einem Notfall aus – oder verwählt). Der Anrufer erzählte mit Schweizer Akzent irgendwas von einer Schweizer Firma, von der er anrufe, irgendwas mit THC. Erst unterbrach ich ihn und erklärte ihm, er müsse sich verwählt haben, ich sei eine Privatperson und hätte nichts mit diesen Dingen zu tun. Erst als er widersprach, begriff ich den Spam-Charakter des Anrufs, legte auf und sperrte die Nummer. Nun ja: Dafür, dass ich meine aktuelle Mobilnummer seit fast 15 Jahren nutze, ist das Spam-Aufkommen nun wirklich gering.

Mittagscappuccino bei Nachbars, die Außentemperatur perfekt für Wandern, nicht Baden – so gehört sich früher Juni.

Emsiges Wegschaffen, dann spätes Mittagessen: Banane, eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Früher Feierabend, weil ich abends den letzten Theater-Termin dieser Spielzeit hatte. Ich fühlte mich ein wenig als Kameradenschwein bei meinem vorzeitigen Abgang, weil eigentlich gerade Hochdruck herrscht – aber meine Aufgaben waren erfüllt, ich fühlte mich lediglich verpflichtet, für Notfälle parat zu stehen (das kriege ich in diesem Arbeitsleben nicht mehr weg).

Daheim nutzte ich die Zeit für offene Fenster in der Wohnung und Pediküre (gna), turnte eine Runde Pilates. Herr Kaltmamsell servierte frühes Abendessen: Spaghetti mit selbst gemachtem Pesto. Dieses schmeckte intensiv nach frischem Basilikum und ganz anders als jedes gekaufte Pesto – zu unserer Überraschung, denn das Resultet der vorhergehenden Versuche war gewesen: Gut, aber auch nicht besser als gutes aus dem Supermarkt.

Im Frühlingskleid spazierte ich ein letztes Mal in dieser Spielzeit zu dem Kammerspielen – um schnell festzustellen, dass ich zu früh dran war: Die 19:30 Uhr, die ich mir als Beginn notiert hatte, galten für die Einführung zum Stück, nicht für die Vorstellung. Das irritierte Verhalten anderer weniger Besucher:innen nahm ich als Beleg: Ich war nicht allein mit diesem Irrtum. Werde aber künftig genauer hinsehen.

Gespielt wurde Asche von Elfriede Jelinek (Uraufführung, inszeniert von Falk Richter). Dem Gespräch der Menschen in der Reihe hinter mir vor Beginn, die wohl die Einführung gehört hatten, entnahm ich, dass das Stück in ihren Augen “ohne Erklärung nicht zu verstehen” war, und die Kernaussage “alles kaputt”. Na ja, “verstehen” ist nicht das, worauf ich bei einem Theaterbesuch aus bin, weil halt Kunstwerk – mit dem ich etwas anfangen kann oder nicht.

In den folgenden knapp zwei Stunden wurde auch nichts zu verstehen angeboten, keine Geschichte. Sondern durchaus plakative Aussagen um die Themen Zerstörung der Erde (vor allem durch Plastikmüll, der bald bergeweise in Weiß, Orange und Blau auf der Bühne lag) sowie Trauer und Elend nach dem Verlust des liebsten Menschen. Der Text dazu bestand aus Fragmenten, meist impressionistischen, und Zitaten. Er griff immer wieder in die antike Kosmogonie zurück, manche Textteile tauchten im Wortlaut immer wieder auf oder wurden mehrfach gesprochen, gleichzeitig von mehreren oder einmal auch versetzt im Kanon wie ein Chorstück. Darin aber auch Schabernack wie “Der einzige Mensch, der für mich zählte, manchmal sogar bis drei.”

Die Schauspieler:innen agierten in oft wechselnden Kostümen und Masken mal explosiv aktionistisch, mal nur Text ins Publikum sprechend, dieses aber immer bis zur Karikatur expressiv spielend – sie stellten ganz klar keine Individuen dar, sondern waren Platzhalter für menschliches Verhalten (Schauspieler:innen dabei großartig). Ausnahme: Ulrike Willenbacher als nachvollziehbare und ganz eigene Autorinnenfigur, die trocken und realistisch spielte und sprach in ihrer Einsamkeit und Verlorenheit.

Eine zentrale Rolle spielten in der Inszenierung Videoprojektionen auf einen Bildschirm und den Bühnenhintergrund: Computer-generierte Bilder der Realität (derzeit KI genannt) mit ihrer ganzen Fehlerhaftigkeit in der Darstellung. Ich habe einige Bekannte, die genau damit spielen und das Neue und Kreative sehen, davon fasziniert sind – das eigentliche Vergnügen daran haben herauszufinden, was an den Resultaten ihrer Prompts eben nicht stimmt, unerwartet ist: Hier war das Bühnenbild (Katrin Hoffmann) einer ganze Theaterinszenierung davon getrieben. Bei mir kam das als Hoffnungsschimmer an: So wie wir Menschheit immer wieder in unserer Kurzsicht Zerstörung und Irrsinn schaffen, entstehen ebenso unbeabsichtigt Neuanfang und Auswege.

„Welche Anzahl von Welten nehmen wir an? Wie viele habe allein ich schon verbraucht?“, heißt es immer wieder im Stück. Die Inszenierung bewies die schiere Unerschöpflichkeit vorstellbarer Welten.

Ein durchaus anstrengender Abend (das hatte aber auch mit den wirklich unbequemen Sitzen in den Kammerspielen zu tun – seit der Wohltat der Volkstheater-Sessel sind sie mir noch bewusster), beim Heimmarsch durch milde Abendluft verschob ich die Verarbeitung auf den nächsten Morgen.

§

Ich merkte, dass ich eigentlich keine Lust hatte, im Blog auf dieses Interview hinzuweisen, weil: Ist ja eh wurscht, hört ja keiner drauf, Hauptsache Autos. Dann erinnerte ich mich an meinen Vorsatz (soweit ich zu Vorsätzen in der Lage bin): “Man muss es doch wenigstens versuchen.” Hier also das Interview von Lena Rauschecker:
“Zukunftsforscher: ‘Keine deutsche Stadt braucht eine Straße mit mehr als einer Spur pro Richtung'”.

Wie müssen deutsche Städte aussehen, um Hitze und Hochwasser trotzen zu können? Wie bewegen wir uns in einer nachhaltigen Stadt der Zukunft? Welche Städte können Vorbild sein und wie fangen wir beim Umbau am besten an? Ein Gespräch mit dem renommierten Stadtgeograf und Zukunftsforscher Stefan Carsten.

via @stadtneurotikr

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Voll gemein gegen uns arme Bayern.

Journal Pfingstsonntag, 19. Mai 2024 – Voller Feiertag mit Lauf, Zeitungserheiterung, Kochen, Volkstheater

Montag, 20. Mai 2024

Der Nachtschlaf fühlte sich tief und gut an – auch wenn er zweimal durch Draußengeräusche unterbrochen wurde. Das erste Mal war’s ein Gewitter. Als eine störende Unterhaltung vor meinem Schlafzimmerfenster kurz vor drei gar nicht mehr aufhörte, sah ich doch mal nach: Polizeiauto mit Blaulicht, mitten auf der Straße stehendes Auto, im eher unaufgeregten, aber lauten Gespräch zwei Menschen in Uniform, fünf Männer in Freizeitkleidung. Das würde so schnell nicht aufhören: Ich schloss Fenster und Rollladen, konnte weiterschlafen.

Erfrischtes Aufwachen kurz vor sieben, es zeichnete sich der angekündigte weitere sonnige Tag ab. Nach dem Bloggen bereitete ich einen Teil des Abendessens zu: Kartoffelsalat.

Gemütlichkeit bei allen Tätigkeiten, in sonniger Morgenfrische war ich fertig für meinen Isarlauf:

Frau fotografiert sich im Flur in einem großen Spiegel, trägt dabei schwarze, kurze Laufkleidung und eine Sonnenbrille

Mit dem Rad fuhr ich in herrlichstem Frühlingsgrün zum Friedensengel. Vor dort startete ich Richtung Norden.

Ein Ur-Münchner Anblick: Radler mit Surfbrett unterm Arm auf dem Weg zur Eisbachwelle.

Blick durch grüne Bäume auf das Blau eines Flusses

Es ist Bieberl-Zeit, die Wasservögel bringen ihre Küken erstmals ins Wasser. Gleich nach meinem Laufstart beobachtete ich dabei ein Drama: Eine Krähe hatte es offensichtlich auf die noch sehr kleinen Küken eines Gänsesägers abgesehen und flog Angriffe, die Eltern versuchten sie immer wieder mit Geschnatter und Flügeschlagen zu vertreiben.

Flaches Flusswasser über Kieselsteinen, unscharf sieht man von Links eine Krähe anfliegen, unter ihr ein größerer Wasservogel und viele kleine Küken

Ich nahm mir nicht dir Zeit, den Ausgang zu beobachten, schließlich war mein Plan Laufen. Und das ging ganz wunderbar und mit nur wenig Fußschmerzen. Zu meiner freudigen Überraschung war gestern das Durchlaufen der Brückenbaustelle am Föhringer Ring möglich, es bot spannende Einblicke in die Holzkonstruktion zum Brückenbau. Überrascht war ich auch davon, wie ruhig die Wege waren, Müncher*innen verbrachten das Pfingst- und erste Ferienwochenende wohl eher außerhalb.

Sonniger Weg am Fluss mit Bäumen, im Fluss liegt ein großer, kahler gestürzter Baum

Die Befestigung dieses Baumsturzes vom Winter im Fluss mit Steinen hat nicht gehalten.

Blick unter einer Brücke hindurch auf Fußweg und hellgrüne Bäume

Maifarben mit Kennedybrücke als Rahmen.

Park mit Schafen, auf dem Fußweg rechts Passant*innen, die sie ansehen

Ich hatte sie gehört und gerochen, bevor ich sie sah: Die Schafherde des Englischen Gartens.

Brückenbaustelle über Fluss, sichtbar durch einen Zaun fotografiert

Die Brückenbaustelle am Föhringer Ring – ich hätte die Holzkonstruktion gerne von den Verantwortlichen erklärt bekommen.

Blick auf Fluss, umgrünt von Auen

Immer wieder schoben sich dunkle Wolken vor die Sonne.

Graffiti "HUSTLA" auf Mauer

Ansicht der Brückenbaustelle mit Holzkonstruktion von unten

Dazu der Geruch des nassen Bauholzes.

Nachaufnahme lila fedrige Blüten in hohem Gras

Graffiti-Männchen auf einer Mauer voller Tags. rechts ein wenig Blick auf Bäume

Föhringer Wehr.

Ich steuerte die Max-Joseph-Brücke an, um endlich die Früchte der vieljährigen Bauarbeiten zu ernten und drunter durchzulaufen.

Neuer Weg, der zwischen Schildern abwärts auf eine alte Brücke zuführt, links zahlreiche Absperrungen

Stellte aber fest, dass hier immer noch Baustelle ist: Der obere neue Weg endet abrupt an der Brückenmauer und bleibt gesperrt. Auch hier hätte mich die Erklärung der Fachleute sehr interessiert.

Neue Streetart unter der Luitpoldbrücke – hier neben anderer vom Lauf in einem instagram-Album zusammengefasst.

Der Friedensengel hatte wieder gut auf mein Radl aufgepasst. Ich dehnte daran rundum, radelte dann gemütlich heim.

Frühstück um halb zwei:

Tisch mit einer Schüssel, in der man Orangenstücke, dunkle Frlüssigkeit und Joghurt sieht, dahinter ein zugeklappter Laptop, rechts daneben ein Wasserglas

Das Dunkle wurde mir als Hollergelee verkauft, erwies sich aber als Sirup. Unter dem Ganzen Porridge.

Herr Kaltmamsell hatte aus den übrigen Eiweiß von der Crème Brûlée eine Bosnische Torte (die Hälfte davon) gebacken, die wirklich hässlich aussah, aber sehr gut schmeckte. Die gab es auch zum Frühstück.

Kleine Siesta, dann las ich auf dem Balkon Zeitung. Unter anderem das SZ-Magazin von Freitag, das zum 75. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland Prominente fragte, was sie mit Deutschland verbinden (€). Die Antworten fand ich alle interessant, laut lachen musste ich über die von Caren Miosga:

»›Herr Schmaaalstieg, kannste ma eben die Tupper runterholen?‹ Da war es wieder. Als ich neulich bei Karstadt eine Schüssel zum Abtuppern (sagen wir so in Hausfrauenkreisen: ›Die tuppert dir in zehn Minuten ein ganzes Buffet ab‹) kaufen wollte, fratzte eine Verkäuferin ihren Kollegen mit dem herrlichen Kassiererinnen-Du an. Herr Schmalstieg, kannst du mal eben? So als sei man auf dem Weg zur formvollendeten Anrede kurz mal gestolpert. Wenn den von mir so heiß geliebten Einzelhandelsfachgeschäften vollends der Garaus gemacht wird, verschwindet auch diese schnatzigste aller deutschen Freundlichkeiten. Auf die Frage, wie ich bezahlen könne, erhielt ich die Antwort: ›Das können Sie halten, wie du willst.‹«

Im Lauf den Nachmittags und beim Kochen schmiss ich mich immer noch weg über den Satz: “Die tuppert dir in zehn Minuten ein ganzes Buffet ab.” Bis dahin hätte ich gesagt, dass für mich Deutschland vor allem a g’scheit’s Brot ist (also Sauerteigbrot – eine Wahl, die mich mit Otto Waalkes verbindet, laut dem die deutschen Nationalfarben Schwarz-Brot-Gold sind). Doch in “Die tuppert dir in zehn Minuten ein ganzes Buffet ab.” steckt noch mehr Deutschland: Ich kenne kein anderes Land, das diesen Satz produzieren könnte, mit all seinen Facetten (Effizienz, Funktion vor Form, Vorausschau, no nonsens, aber ja auch Genuss, und deutscher Humor vom Feinsten – zumal ich dabei durchaus auch deutsche Frauen mit Einwanderungswurzeln vor Augen habe). Wenn auch nicht unbedingt mein Deutschland (ich neige eher zu Schraubgläsern für Essensreste und Brotzeit).

Von wegen Kochen: Ich bin mittlerweile durchaus stolz darauf, dass ich Gerichte in meinem Koch-Repertoire habe, die sich der deutlich besser kochende Herr Kaltmamsell von mir wünscht. Gestern waren das Fleischpflanzerl mit Feta-Füllung.

Gedeckter Tisch mit großem Glasteller, darauf zwei Fleischpflanzerl und Kartoffelsalat mit Gurke

Ich servierte deutlich früher als sonst, es gab auch noch Crème Brûlée zum Nachtisch, denn abends wollten wir ins Theater: Der Besuch der alten Dame im Volkstheater. Dorthin spazierten wir durch milde, aber nicht wirklich warme Maienluft.

Offener Innenhof eines Backsteinbaus, darin Menschen, über dem Tor steht "Volkstheaer"

Der Dreh der Inszenierung: Nach Güllen kommt nicht die alte Dame, sondern ihre gleichnamige Enkelin, eine erfolgreiche Sängerin. Die Hoffnungen auf Geldsegen der Bevölkerung sind gleich, doch die Bedingung für die große Spende Claras ist jetzt der Tod des Enkels von Alfred. Insgesamt funktionierte das in meinen Augen, und ich mochte sehr, was Anna van Leen mit der Bühne gemacht hatte (im letzten Drittel hob sich die Bühne zu einer split stage mit Handlung oben und unten). Und ich konnte die Regie-Entscheidung nachvollziehen, die Schausspielenden (bis auf Nina Steils als Clair) völlig überzogen und als Karikaturen auftreten zu lassen. Doch unterm Strich fehlte mir die Motivation der Enkelin Claire, dazu hätte ich sie als Person mehr kennenlernen müssen.

Enthusiastischer Beifall aus dem voll besetzten Zuschauerraum.

Seitlich aufgenommen: In schwarzer Wand orange eingelassene Lampen

Beim Rausgehen hielt ich die Baumarktblumentopflampen fest.

§

Fotoreihe im Guardian:
“Protesters, pop stars and pioneers: 38 images that changed the way we see women (for better and for worse)”.