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Journal Samstag, 2. November 2024 – Wohnungskrankheiten

Sonntag, 3. November 2024

Die Nacht verlief ein wenig unruhig, selbst im Bett schmerzten meine Füße (die beim Wandern dieselben Stiefel und Einlagen getragen hatten wie beim schmerzfreien Wandern auf Mallorca).

Bloggen an Milchkaffee. Einer der beiden aufgedrehten Heizkörper im Wohnzimmer gluggerte und gurgelte laut wie schon die vier Tage zuvor, und jetzt muss ich doch mal die gesammelten aktuellen Malaisen der Mietwohnung zusammenfassen:
– gurgelnder Heizkörper (selbstverständlich nach dem Termin, zu dem die Hausverwaltung um Meldung von Fehlfunktionen der Heizung gebeten hatte, um diese in einem Aufwasch zu beseitigen), nur das erste Fünftel wird warm
– leicht klemmende Wohnungstür (Anfang des Jahres war wegen stark klemmender Wohnungstür ein Schreiner dagewesen und hatte die Scharniere ersetzt, danach hatte sie ein paar Wochen nicht mehr geklemmt, dann aber doch wieder)

Weiße Kassetten-Altbautüre mit Messing-Klinke, die zum Türrahmen einen Spalt hat

– immer stärker klemmende Schlafzimmertür, nach Monaten der Verschlechterung ist sie mittlerweile selbst mit aller Kraft nicht mehr zu schließen, als das Foto zeigt. Öffnen dann nur mit filmreifem Schultereinsatz
– hörbar tropfender Spülkasten im Bad; sowas habe ich schon mal selbst repariert (na ja, innen an allen beweglichen Teilen so lange rumgejuckelt, bis nichts mehr tropfte), doch nach Öffnen des Kastens kann ich nicht mal ausmachen, wo es tropft, nicht im sichtbaren Wasser

Le grand GNARF!

Wie geplant wusch ich Bettwäsche samt Überdecke: Jetzt stellte ich wirklich auf winterliches Federbett um, bislang reichte eine Baumwolldecke zusätzlich zum Sommerbett.

Draußen war es kalt und grau, das nahm mir die Lust zum Radeln. Also fuhr ich mit der U-Bahn ins Olympiabad zu meiner Schwimmrunde.

Das Schwimmen im mittelstark genutzten Becken war endlich mal wieder richtig schön. Schon nach wenigen Bahnen fühlte ich mich stark und im Fluss, auch wenn es immer wieder im Kreuz zwickte, auch mal bis ins Bein. Und ich musste mich nicht ärgern, war von freundlichen Schwimmer*innen umgeben. Beim Verlassen der Schwimmhalle lud ich meine Bäder-Card ordentlich auf.

Auf dem Heimweg stieg ich am Marienplatz aus, Einkäufe im Edeka Sendlinger Straße, unter anderem Frühstück. Das gab es kurz vor zwei: Apfel, erste Gabeln des jüngsten von Herrn Kaltmamsell angesetzten Chinakohl-Kimchis (super!), zwei Vollkornsemmeln mit dick Butter und hauchdünnen Scheiben italienischem Schinken – darauf hatte ich mich sehr gefreut.

Wochenend-Süddeutsche gelesen. Darin wie schon seit Wochen Spekulationen und Prognosen zur US-Präsidentschaftswahl nächsten Dienstag; eigentlich überblättere ich die seit Wochen, weil in meinen Augen irrelevant und ohne Neuigkeitswert (im Grunde jedesmal detailreiches Kopfschütteln). Dieses eine Mal las ich noch die Zusammenfassung zu Donald Trumps Lügen (belebgar, er lügt eigentlich in jeder einzelnen Aussage und Behauptung) und warum er trotzdem von so vielen anerkannt wird (wieder Spekulieren und Kopfschütteln, meine Erklärung: die Lügen sind den Leuten einfach egal, sie wollen die Welt brennen sehen). Aber: Gute Überschrift (€).
“Herr der Lügen”.

Ich klappte mein Bügelbrett am Wohnzimmerfenster auf, da war es gerade mal hell genug: Der Tag kam nicht aus dem Trüben raus, und schon um vier wurde es düster. Ein Stündchen Bügeln, auf den Ohren Pink Floyd: Aus dem Spotify-Mix gelernt, dass die nach meiner persönlichen Pink-Floyd-Phase, die aus den 1970er-Alben bis “The Wall” bestand, bombasto-konventionell wurden, nicht mein Geschmack.

Nächste Häuslichkeit: Haselnüsse knacken, nämlich die Tüte voll, die ich vor Wochen von der diesjährig reichen Ernte meiner Eltern mitgebracht hatte. Ich hatte schnell wieder alle Tricks raus, die ich mir bei der letzten Aktion vor Jahren erarbeitet hatte, unter anderem kleine Haselnüsse, die auch für den Kleinnuss-Bereich meines Nussknackers zu klein waren, mit der Trennbeule zwischen Großnuss- und Kleinnussbereich zu knacken. Nach der Hälfte der Tüte hörte ich auf, um mir nicht wie bei eben dieser letzen Aktion Blasen an die Zuckerpüppchen-von-Tifus-Hände zu holen. Den Rest nahm ich mir für Sonntag vor.

Letzte Folge der Pilates-Woche mit Gabi Fastner, leider böses LWS-Zwicken bis Aufjaulen bei Bauchübungen – JAJAJA, der untere Rücken LAG flachest am Boden! Wenn ich meine Lendenwirbelsäule durch kräftige Rumpfmuskulatur schützen möchte, muss ich sie ja wohl trainieren.

Zum Abendessen hatte ich Pizza geplant – endlich mal wieder eine gute, nämlich abgeholt von Italian Shot im Glockenbachviertel. Dorthin spazierte ich durch novemberliche Kälte mit Nebeldunst, wartete nur zehn Minuten.

Pizza mit getrocknetem Schinken, Walnüssen, Käsewürfeln auf Bastset

Pizza Sicilian Shepherd mit getrockneter Feige, Ziegenkäse, Prosciutto, Rucola, Walnüssen. Schmeckte ok, nach dem Transport halt nicht so gut wie frisch aus dem Ofen. Nachtisch Süßigkeiten (ich hatte im Edeka Nachschub besorgt).

Im Bett weiter Percival Everett, James gelesen – es wird schon arg viel ausbuchstabiert und erklärt, mir als Leserin wenig zugetraut.

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Die taz über das Münchner Kunstprojekt “Mash & Heal”:
“Verrottende Geländelimousinen”.

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TANZT! “Thriller”-Groß-Choreo Donnerstagnacht auf der West Village Halloween Parade in New York City.

Journal Mittwoch, 30. Oktober 2024 – Blumengeschenk und Großstadt-Deko

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Der Wecker riss mich aus tiefem Schlaf, ich stand sehr ungern auf (anscheinend brauche ich derzeit besonders viel Schlaf).

Das Draußen war zu dicken Nebel zurückgekehrt, mein Büroblick hätte eine Star-Rolle in einer Edgar-Wallace-Verfilmung übernehmen können.

Modernes Bürogebäude im Nebel

Bis Mittag verflog der Nebel aber, nach einem Arbeitsvormittag mit viel Wuseln (wie es doch die Bürobewegung erhöhen kann, wenn man merhfach zum Drucker eilt, ohne aufs finale “Drucken” geklickt zu haben!) ging ich zu meinem Mittagscappuccino im Westend durch Sonnenschein.

Spätes Mittagessen, weil so viel SOFOCHT wegzuschaffen war (meine Perspektive, weil für nachmittags etwas Größeres anstand und ich dafür Zeit freimachen wollte): Roggenvollkornbrot, Granatapfelkerne mit Sojajoghurt – jetzt ist die erste Kiste Granatäpfel von Crowdfarming durch (Herrn Kaltmamsell zweige ich immer einen kleinen Anteil der rausgeprokelten Kerne ab). Und ich habe dieses Jahr wieder nicht übers Herz gebracht, die “Adoption” des Crowdfarming-Orangenbaums abzubrechen, werde also wieder drei Riesenkisten Orangen wegkriegen müssen.

Die Sonne hielt sich auch über den wusligen Nachmittag, ab 16 Uhr konnte ich etwas geordneter arbeiten.

Heimweg mit Abstecher in einem Blumenladen: Über das anstehende lange Wochenende wollte ich was Schönes anzusehen haben und schenkte mir einen Blumenstrauß.

In einer schmalen, hohen Glasvase verschiedene Blumen in Weiß- und Rosatönen

Heimweg aber auch mit sauschlechter und gereizter Laune, ich möchte bitte ein Medikament dagegen.

Zu Hause Pilates, Brotzeitvorbereitung (nicht mehr so langwierig wie Granatapfelpulen).

Zum Nachtmahl brauchte Herr Kaltmamsell den Ernteanteil auf und erstellte aus Weißkraut und Kartoffeln Colcannon (Kartoffelbrei mit gebratenem Weißkraut). Wärmend und gut. Nachtisch adventliche Süßigkeiten, Schokolade.

Die Ellbogenlöcher in Herrn Kaltmamsells Haus-Strickjacke habe ich wohl das eine oder andere Jahr zu lang angesehen, ihr Durchmesser lässt sie mittlerweile wie Design und Laufsteg-tauglich wirken. Gestern bestellte ich ihm (nach Einholen von Einverständnis, nur Ja heißt Ja) einen irischen Nachfolger, um einen erfreulicheren Anblick zu bekommen (schönes Zeug da).

Früh ins Bett zum Lesen, neue Lektüre ist Percival Everett, James: Mark Twains kanonische Geschichte Adventures of Huckleberry Finn aus der Perspektive des Sklaven Jim erzählt, das hatte mich sofort gereizt (erinnert man sich eigentlich noch an Christine Brückners Wenn du geredet hättest, Desdemona?).

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Maximilian Buddenbohm erweist sich als pflichtbewusster Hamburger und besucht den Fischmarkt, damit sich jederzeit ausreichend dekorative Einheimische unter den Touristen bewegen:
“Maritime Stimmungsfragen”.

München ist in puncto Stadt-Deko schon auch rührig. Zwar ignoriere ich die jährlichen Aufforderungen, in anständigem Dirndl das Oktoberfest zu authentifizieren, erfülle meine Münchnerinnen-Pflicht aber durch Biergarten-Sitzen, Janker-Tragen und vor allem öffentliches Bayrisch-Sprechen bei jeder sich bietenden Gelegenheit. (Die Auswärtigen wissen ja nicht, dass gebürtige Münchner*innen ihr Bayrisch fast alle verlernt haben und man am Dialekt treffsicher die zugezogene Provinzlerin oder vom Land identifiziert.)
Manchmal scheitert mein Auftritt allerdings: Wenn ich in der Rolle der “Ich wohne fei hier!” mit Einkäufen oder in Eile durch Besuchergruppen navigiere und darauf hoffe, dass ich vielleicht bestaunt werde (“guck, hier kaufen die Leute auch Frühstücksbrötchen!”), mir vor allem aber Platz gemacht wird.

Journal Dienstag, 29. Oktober 2024 – Raphaela Edelbauer, Die Inkommensurablen

Mittwoch, 30. Oktober 2024

Guter Nachtschlaf, allerdings Verwirrung, als ich um 5:42 Uhr aufwachte, überzeugt war, dass ich noch eine Stunde schlafen konnte und mich nach dem Klogang wieder hinlegte: Der Wecker klingelte planmäßig in dem Moment, in dem mein Kopf auf das Kissen traf um 5:45 Uhr.

Morgenhimmel mit erster Helligkeit, die Silhouette eines Kirchturms, darunter Park eine Straße

Zu meiner Überraschung und Freude gab es zum Hellwerden klaren Himmel mit Mondsichel und Sternen.

Der Bürovormittag war mit reichlich Arbeit und Bewegung gefüllt, wie an den meisten Dienstagen waren die Büros gut besetzt. Mittagscappuccino bei Nachbars, dann spazierte ich weiter zu Discounter-Einkäufen. Die sonnige Luft roch kalt, war aber mild, ich genoss jeden Atemzug.

Spätes Mittagessen, weil Querschüsse: Roggenvollkornbrot, Granatapfelkerne mit Soja-Joghurt.

Emsiger Nachmittag, ohne dass ich mich hetzen musste. Feierabend in letzter Abenddämmerung, auf meinem Heimweg roch die Luft wunderbar.

Unterwegs weitere Lebensmitteleinkäufe unter anderem fürs Abendessen: Herr Kaltmamsell war aushäusig, ich musste mich selbst versorgen.

Leider hatte ich enorm schlechte Laune inklusive Bereitschaft, alles, jede und jeden schlecht und blöd zu finden.

Zu Hause Häuslichkeiten, nach Pilates und Brotzeitvorbereitung machte ich mir als Abendessen Nudeln mit frischen Tomaten und Paprika in Joghurtsauce – da keine kurzen Nudeln im Haus waren (Orecchiette zählen meiner Ansicht nach nicht, zu speziell), bediente ich mich an dem Berg Spaghetti, der sich durch Einkaufslisten-App-Fehlfunktion angehäuft hatte. Ein wenig Gelbe-Bete-Salat war auch noch da, Nachtisch Schokolade. Schon wieder aß ich insgesamt zu viel und wurde mit Bauchdrücken bestraft.

Früh ins Bett zum Lesen, ich wollte Raphaela Edelbauer, Die Inkommensurablen wegbekommen, das mir auf die Dauer dann doch zu abgedreht saturnalisch war. Ich las es dann auch aus.

Die Romanhandlung umfasst 48 Stunden um die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien Ende Juli 1914 in Wien und dreht sich um vier sehr außergewöhnliche Personen:
– Der 17-jährige Hans, mit dem die Handlung einsetzt, ist gerade von dem Bauernhof in Tirol geflohen, auf dem er nach dem frühen Tod seines bürgerlichen Vaters seit Jahren schuften musste. Warum er trotz diesem Hintergrund fast ohne Dialekt sprechen kann und soviel gelesen hat, wird über die weitere Handlung hin erzählt.
– Klara, die gerade in Mathematik promoviert wird – aus bitterarmem Lumpenproletariat stammend. Dieser Widerspruch klärt sich auf den nächtlichen Streifzügen durch Wien, sie macht mit ihren Freunden Station an den wichtigsten Orten ihrer Vergangenheit. Hans trifft sie im Stiegenhaus von
– Helene, der resolute Psychoanalytikerin, wegen der er unbedingt nach Wien wollte. Ihre Geschichte wird in einem eigenen Kapitel erzählt.
– Adam, junger Sohn einer adligen Militärfamilie, mit Klara befreundet und Patient von Helene, der von Kleinkindbeinen an brutal auf eine Offizierskarriere gedrillt wurde. Auch seine Geschichte wird in eigenen Kapiteln erzählt.

Um sie herum tobt Kriegsbegeisterung, ganz Wien ist im Taumel. Die drei absolvieren ein Abendessen bei Adams Familie, auf dem alte, hohe Offizielle die Kriegslage diskutieren. Dann ziehen sie los durch die Wiener Zwischenwelt von Homosexuellen und Drogen. Dazwischen diskutieren sie ausführlich Klassenfrage und Weltlage. Was sie verbindet, sind übersinnliche Wahrnehmungen.

Das alles ist rauschhaft mit vielen Details erzählt, politische Diskussionen wechseln sich ab mit tumultartigen Schlägereien, Orgien, Wahn, am Ende wird Klaras Rigorosums-Vortrag über die Inkommensurablen seitenlang wörtlich wiedergegeben. Mir wurde schon klar, dass die Erzählweise das Durcheinander direkt vor Kriegsausbruch spiegelte, die Gleichzeitigkeit von allem Nicht-Alltäglichen, den irrationalen Kriegsrausch. Doch mir war das insgesamt einfach zu viel, zu konstruiert: Ich kam keiner Figur, keinem Ort und keinem Thema (eingebaut sind auch Suffragetten und Zwölftonmusik) nahe.

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Entdeckung auf instagram (Beifang aus dem beruflichen Pressespiegel: Der Tagesspiegel hatte “Vermittlungskünstler” aus der Forschung vorgestellt.):
robinga_schnoegelroegel, Plantfluencer, informiert zu Biodiversität.
Hier sein Rant zu Zuchtsorte aus dem Supermarkt und ihre ökologische Auswirkung auf den heimischen Garten.

Journal Montag, 21. Oktober 2024 – Große Montagsanstrengung, aber mit Erkenntnissen

Dienstag, 22. Oktober 2024

Ich lerne vom Romanelesen, ob ich will oder nicht. (Neutraler formuliert: Literatur beeinflusst meine Wahrnehmung.) Zum Beispiel: In den letzten Nachtstunden auf Montag geriet ich ins Angst-Karussell, durchaus vorhergesehen bei den Aussichten auf diesen konkreten Arbeitsmontag. Nun hatte ich vor dem Einschlafen ja Karsten Dusses Das Kind in mir will achtsam morden gelesen (tut mir leid, aber Fortsetzungen kriegen mich einfach fast nie, mich interessiert bei originellen Ideen am meisten das world building, also das Ausarbeiten dieser originellen Grundidee – und das ist in praktisch jeder Fortsetzung halt schon vorbei) (Geschichten, die über mehrere Romane hinweg erzählt werden, sind was anderes). Und darin gibt die Erzählerstimme den Rat seines Therapeuten wieder: Gedankenkreisel dadurch zähmen, dass man im Geiste ganz aufmerksam durch die Räume der eigenen Wohnug geht, sich möglichst viele Details in Erinnerung ruft. Daran dachte ich in meinem Angst-Karussell und probierte es einfach mal aus. Was soll ich sagen: Das wirkte! (Sample n=1, noch lang nicht als Beweis belastbar.)

Was davon allerdings nicht wegging: Der Anlass des Belastungsgefühls, ich wollte beim Aufstehen und auf dem Weg in die Arbeit sehr, sehr gerne nicht exisiteren. Das Draußen war neblig, München probiert heuer mal Bilderbuchoktober aus, ok.

In morgendunklem Nebel: Vordergrund die Silhouetten der Figuren, mit denen der Anschlag aufs Oktoberfest 1983 dokumentiert wird, Hintrgrund ein Oktoberfestzelt

Aötes helles Haus zwischen zwei Straßen in leichtem Nebel, davor ein großer Baum mit wenig gelbem Herbstlaubrest

Zum Glück war es aber nicht kalt.

Im Büro riss mich Unvorhergesehenes im Postfach umgehend in heftige Betriebsamkeit, wo ich mich doch eigentlich von meinem Vormittagstermin hatte verrückt machen lassen wollen. Bis zum Termin konnte ich das Problem nicht lösen, ich musste erst mal zwei Stunden fröhlich tanzen. Das schaffte ich ohne zu großen Gesichtsverlust, doch statt Erleichterung gab es anschließend Ringen auf verschiedenen Ebenen. Das führte unter anderem zu sehr spätem Mittagessen (ohne Pause, keine Zeit): Tomaten, Apfel, Granatapfelkerne mit Joghurt. Und danach ging’s grad so weiter.

Im Nachhinein merkte ich, dass sich der Nebel bereits am frühen Vormittag verzogen hatte und die Sonne schien, währenddessen hatte ich keinen Blick dafür. Zu mittelspätem Feierabend hing ich völlig in den Seilen – freute mich aber auf den Heimweg in schöner Luft (ich musste dringend meine Geruchsrezeptoren dekontaminieren, hatte lange Strecken in dichtem Parfumdunst arbeiten müssen).

Der Heimweg war dann auch schön, eigentlich. Denn ich war so erledigt im schlechten Sinn, dass ich am liebsten nur den Meter Boden vor mir angesehen hätte.

Lebensmitteleinkäufe, Heimkommen fühlte sich immer noch nicht wie Freihaben an: Maniküre, Yoga-Gymnastik, Karottensalat für die Arbeit zubereitet, Abendessen nur für mich gemacht, Herr Kaltmamsell war aushäusig.

Wieder schaffte es gutes Essen, mich nach diesem schlimmen Tag zu besänftigen – sogar wenn ich’s selber gemacht hatte: Endiviensalat (Ernteanteil) mit roter Paprika, süßer Zwiebel in Tahini-Dressing, schmeckte hervorragend. Mein Comfort Food ist gutes Essen. (Gegenstück zu Friedrich Torbergs “Essen war sein Leibgericht”). Küche aufgeräumt, dann gab’s noch ordentlich Schokolade, wegen ausgewogener Ernährung, jetzt hatte ich richtig frei.

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Mit Mooren, genauer mit ehemaligen Mooren bin ich schon auch aufgewachsen: Ingolstadt grenzt ans Donaumoos mit seinen brettlebenen Kartoffelackern und schnurgeraden Landstraßen (wenn Kurve, dann gleich Marterl, weil sich dort jemand derrennt hat).

Viel interessanter aber ist, was Klaus Modick über Moore zu sagen hat:
“‘Kaum jemand feiert die Sümpfe'”.

Es gibt einen hintergründigen Satz von Walter Benjamin: „Was zu verschwinden droht, wird Bild.“ Man könnte auch sagen, was zu verschwinden droht, wird Literatur oder Kunst. Gerade die Dinge und Erfahrungen, die uns entgleiten, die verloren gehen, weil wir sie zerstören, werden mythisiert und bekommen eine ästhetische Qualität, die sie an sich gar nicht haben. Den „edlen Wilden“ gibt es erst in dem Moment, in dem die Native Americans ausgerottet werden, und das Moor erscheint ästhetisch reizvoll, als es zu verschwinden droht. So werden Bilder und Texte zu einer Art künstlerischem Naturkundemuseum. Literatur beschränkt sich nicht darauf, Dinge zu beschreiben, die vorhanden sind. Und Rezeption von Kunst ist nicht nur einfach ein Wiedererkennen von etwas, das man sowieso schon im Kopf hat. Das würde ja ­bedeuten, wir Schriftsteller und Maler zeigen euch nur das, was ihr sowieso schon wusstet. Zumindest geht es darum, etwas so darzustellen, dass es den Rezipienten neue Blickwinkel ermöglicht.

Journal Donnerstag, 17. Oktober 2024 – Zwischenspiel Herbstsonne

Freitag, 18. Oktober 2024

Vor Weckerklingeln mit Unruhe aufgewacht (in dieser Phase fiel mir auf, dass ich für die Berlin-Hotelbuchung am Vorabend keine Bestätigung erhalten hatte), bei Weckerklingeln Freude über den klaren Sternenhimmel, Orion grüßte funkelnd.

Ein einzelner Herbstsonnentag dazwischen, am Freitag kommt der Regen zurück, ich versuchte so viel Herbstsonnenfarben in mich reinzugucken, wie an einem Arbeitstag ging.

Besonders erfreulicher Marsch in die Arbeit in Morgendämmerung.

Blick aus einem Bürofenster auf ein modernes Bürogebäude in goldener Morgensonne

Am Schreibtisch verschiedentliche Kapriolen, u.a. brauchen Sie nicht zu meinen, dass mein Arbeitgeber Druckschriften einfach so ins Nicht-EU-Ausland schicken kann: Ich lernte und lerne viel über Exportkontrolle (und musste meinen inneren Schabernacki im Zaum halten, der vor Ideen fürs Ausfüllen der Formulare nur so sprühte). In einer anderen Sache erwies sich wieder, dass “schnell mal” fehlerhafte Ergebnisse erzeugt, deren Folgen man gut und gerne ein Mehrfaches der schnellen Zeit hinterherkorrigiert. Muss dringend daran denken, solche Ansinnen beim nächsten Mal abzuwehren. Vor allem wenn sie von mir selbst kommen, die offensichtlich beweisen muss, dass Unvorhergesehenes “gar kein Problem” ist. (Dabei lernte ich doch schon vor Jahrzehnten die “quick and dirty”-Lösungen der dänischen Kollegen zu fürchten, mit denen sie sich stolz von uns gründlichen und systematischen Deutschen absetzten, wie lernresistent kann eine sein?)

Dazwischen Check beim Berliner Hotel: Am Telefon kein Durchkommen (ich bin immer noch auf dem Stand, dass Hotel und Gastro am besten telefonisch zu erreichen sind), doch meine E-Mail-Anfrage wurde schnell beantwortet – “Systemwechsel” -, die Reservierungsbestätigung traf kurz darauf ein.

Draußen herrlicher Sonnenschein, beim mittäglichen Marsch zum Markt (Äpfel, Käse – einem Kundengespräch entnahm ich, dass die Standlbetreiber die angebotene Ware tatsächlich selbst herstellen) fand ich heraus, dass die Luft wundervoll roch (u.a. nach Kälte, obwohl es doch besonders warm war).

Blick von unten aus einem U-Bahn-Ausgang, oben Sonne, blauer Himmel, hebrstbunte Bäume

Spätes Mittagessen: Birne, Roggenvollkornbrot, Granatapfelkerne mit Joghurt.

Mittelpressieriger Nachmittag. Überraschende Entdeckung, dass ich Karriere gemacht habe – zumindest was die IT-Betreuung angeht.

Blick ins sonnige Draußen mit einer Industriellenvilla und einem modernen Bürogebäude, an dessen Boden zwei Menschen in der Sonne sitzen

Nicht zu später Feierabend, ich wollte noch ein wenig Herbstfarben gucken im Westpark. Dort stellte ich allerdings fest, dass die Sonne dafür bereits zu tief stand. Ich machte nur eine kleine Runde. Zudem war ich gestern extrem geruchssensibel, nahm das Parfum/Haarspray, den Weichspüler an der Kleidung von Passant*innen störend wahr, wo ich doch nach den Herbstgerüchen des Parks suchte.

Im Vordergrund See mit Gänsen, im Hintergrund herbstbunte Parkbäume

Eigenartiger Sonneneinfall zwischen Bäume, sehr lange Schatten, ein Radler fährt auf die Bäume zu

Genau die tiefe Sonne ermöglichte aber diesen großartigen Anblick.

Heimweg über die Theresienwiese. Dort steht immer noch sehr viel Oktoberfest rum, doch genossen auch reichlich Menschen das milde Wetter und den Platz.

Zu Hause traf ich noch Herrn Kaltmamsell, der aber schon bald zu einer Verabredung aufbrach. Ich turnte Yoga-Gymnastik und nahm mir dann den Ernteanteil vor. Na gut, den Kopf Endivie. Zumindest die Hälfte davon.

Aufsicht auf eine weiße Schüssel mit grünem Salat

Dressing: Zitronensaft/Olivenöl, eine halbe süße Zwiebel reingescheibelt. Schmeckte mir sehr gut. Dann noch Käse, gefolgt von Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen, Colm Tóibín, Long Island ausgelesen (ok), das wieder mit einem Cliffhanger endete. Gleich die nächste Lektüren in der Münchner Stadtbibliothek recherchiert, Karsten Dusse, Das Kind in mir will achtsam morden gesichert.

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Wenn Ihnen mal wieder jemand mit irgendeiner sprachlichen Erscheinung kommt, die “doch logisch” sei:
Die Aussprache der Zeichenfolge ear im Englischen.

Journal Sonntag, 13. Oktober 2024 – Das ist wohl das Jahr der Regenläufe

Montag, 14. Oktober 2024

Nach dem Guten-Morgen-Kuss und auf die Frage nach der Qualität seines Nachtschlafs hörte ich nach Langem mal wieder von Herrn Kaltmamsell: Er habe das Licht später gelöscht als geplant, weil er so lange noch gelesen habe – ich hatte ihm auf Wunsch David Schalkos Roman Schwere Knochen geliehen, weil hard boiled und starke Erzählstimmer sehr gut zu seiner Liebe für klassische noir-Krimis passt und weil er zu meiner Buchbesprechung umgehend auf den Film Der dritte Mann hingewiesen hatte.

Ich hatte gut und genug geschlafen, das war schön. Wieder ließ ich mir von der Wettervorhersage nicht in meine Tagespläne dreinreden, wieder zahlte ich dafür den Preis, im Regen an der Isar zu laufen, der (auf dem Regenradar absehbar) exakt dann einsetzte, als ich gegen halb elf in Thalkirchen aus der U-Bahn kam. Doch es war ja nicht wirklich kalt (ca. 12 Grad), und die Herbstbuntheit der Bäume verschönte das Licht.

Ich hatte diese Strecke gewählt, weil fast der gesamte Rest Münchens von Leuten belegt war, die gerne unter besonders vielen anderen Menschen laufen: München-Marathon. Mit meiner Vorliebe für besonders menschenarme Laufstrecken war ich aber nicht allein: Trotz Regenwetter kamen mir so viele andere Läufer*innen entgegen wie an einem Sonntag üblich. Zum Spazierengehen war dafür fast niemand unterwegs.

Als ich in der ersten halben Stunde bereits recht gründlich nass war, hatte ich die Idee, nicht wie sonst bis Pullach und zurück nach Thalkirchen zu laufen, sondern das nasse Warten auf eine U-Bahn heim durch Lauf bis Großhesseloher Brücke und von dort über Flaucher und Alten Südfriedhof bis ganz nach Hause zu umgehen. So machte ich das auch, unter anderem weil ich die Ausblicke vom Flaucher sehen wollte. Es regnete fast durchgehend in unterschiedlicher Stärke, nur etwa zehn Minuten machte der Regen Pause.

Regnerisches Draußen, vor einem Mäuerchen vor Bäumen, auf dei "2024" gesprüht wurde, schiebt ein Mann unterm Schirm einen Kinderwagen

Breiter Weg an einem Fluss (links) mit buten Flussauen im Regen

Dunkler Himmel und Regen über bunten Bäumen, links ein Wasserlauf

Wasserfläche im Regen, im Vordergrund Schwäne, im Hintergrunde herbstbunte Bäume

Der linke der Jungschwäne fauchte mich beim Vorbeilaufen an.

Bunte Herbsbäume im Regen, linka ein Kanal, davor ein Geländer

Blick von hoher Brücke auf Flusslandschaft im Regen: Zwei Wasserläufe, dazwischen Wege und bunte Bäume

Treppe in regnerischem Herbstwald

Breiter Weg durch Laubwald, die Bäume grün, wenig gelbes Laub auf dem Weg

Flusslandschaft von Nahem mit vielen großen Steinen, im hintergrund bunte Bäume, dazwischen drei Personen

Breiter Holzsteg zwischen Bäumen unter dunklem Himmel, im Vordergrund eine Person in weißen Hosen mit grauer Steppweste

Wassertreppe neben einem Wehr, rechts ein herbstbunter Busch

Blick durch Unterführung ins Helle, als Silhiuette ein Mensch mit Schirm

Vor alten Grabdenkmälern im Regen: Ein riesiger Baum in Stücken

Auf dem Alten Südfriedhof ein weiterer riesiger Baum weniger.

Mein Körper spielte hervorragend mit, erst am Ende der gut anderthalb Stunden spürte ich ein Ziehen in den Sitzbeinhöckern.

Eine Konsequenz zog ich aber aus der gehäuften Regnerei bei meinen Läufen: Ich bestellte eine richtige Regenjacke, denn wieder war nur meine Unterhose trocken geblieben – meine bisherige Jacke, 15 Jahre alt, ist eigentlich ein Windbreaker.

Nach dem Duschen vor dem Anziehen noch eine kleine Flick-Runde: Die dicke Strumpfhose, deren Löchlein an den Zehen ich schon am Samstag geflickt hatte, hatte mich mit einem weiteren Zehenlöchlein im anderen Bein überrascht. Und die Hose, die ich gestern tragen wollte, brauchte einen neuen Knopf.

Frühstück um zwei: Roggenvollkornbrot mit Majo (ich wollte einen herzhaften Aufstrich), sehr viel Gewürzkuchen (im Teller Milch angegossen, so esse ich ihn am liebsten).

Nachmittags beruhigte sich das Wetter, als ich ein Stündchen bügelte, kam sogar Sonnenschein durchs Fenster. Zeitung der vergangenen Woche aufgelesen.

Mein Beitrag zum Nachtmahl: Apple Crisp aus den Ernteanteil-Äpfeln. Während der im Ofen buk, turnte ich eine Runde Yoga-Gymnastik (eine zehnminütige Folge Schnaufen übersprang ich, so bekam ich gestern zackigen Flow – jeder Atemzug eine Gymnastik-Bewegung). Das eigentliche Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell: Ernteanteil-Lauch chinesisch mit schwarzen Bohnen, dazu Reis. War gut!

In einem weißen tiefen Teller gegarte Apfelstücke mit Streuseln, drumrum weiße Flüssigkeit, dahinter eine Aufflaufform mit mehr Äpfeln und Streuseln

Das Backen verbesserte die Äpfel definitiv (dazu flüssige Sahne).

§

Im aktuellen SZ-Magazin ein spannender Artikel über den Buchmarkt-Boom “New Adult”: Liebesgeschichten, die vor allem Frauen ansprechen (€).
“Liebe, Sex und Umsatzplus”.

Zuerst war New Adult ein rein amerikanisches Phänomen. Verlage wollten jene Zielgruppe erschließen, die gerade aus der Jugendliteratur, also Young Adult, herausgewachsen ist, und erfanden den nächstlogischen Begriff. Angesprochen werden junge Frauen im Alter von 16 bis 25.

(…)

Heute löst ein nationaler Bestseller den nächsten ab, die Zahlen klingen ja selbst wie Fiktion: Menschen zwischen 16 und 19 Jahren gaben in Deutschland 2023 für Bücher 77 Prozent mehr Geld aus als noch 2019. Auch dank ihnen hat der deutsche Buchmarkt im Juli ein Umsatzplus von 2,8 Prozent verkündet. »Junge Leser retten den Buchmarkt«, titelte die Nachrichtenagentur dpa und hatte fast recht. Treffender wäre: Junge Leserinnen retten den Buchmarkt.

Die zentrale Neuerung in meinen Augen: Diese Leserinnen sehen sich als Community, treffen sich zu Festivals, professionell organisiert vom Verlag mit VIP-Karten für 79,90 Euro, auf denen sie ihre Lieblingsautorinnen treffen und sich austauschen.
Ja, wie Daniela Gassmann assoziierte auch ich Taylor Swift, mehr noch aber dachte ich an Jasper Ffordes Roman The Eyre Affair, der in einer Welt spielt, in der Literatur-Klassiker so tief Teil der Alltagskultur sind, dass u.a. Shakespeare im Theater mitgesprochen und mitgespielt wird (siehe Vorführungen Rocky Horror Picture Show).

Jetzt sehe ich eine Zukunft vor mir, in der man sich für Literatur-Festivals wie die Lieblings-Romanfigur verkleidet, Roman-Cosplay wie hier in Hamburg (zu Gaming, Anime, Manga).
(Schrieb die Frau, die durchaus eine Zeit lang gerne schwarze Jeans mit einem bestimmten schwarzen T-Shirt trug, um sich wie Ruth Cole aus John Irivings Widow vor one year zu fühlen. Allerdings gibt es selten literarische Figuren, die so stark über ihre Kleidung charakterisiert werden, dass man sie Cosplayen kann.)

Herr Kaltmamsell kann ja von den Conventions (Fan-Festivals) seiner Jugend berichten, Heftroman-Leserfestivals wie zu Perry Rhodan – aber das war halt Männer-Trivialliteratur. (Lesen ist Lesen, das Zusammensetzen abstrakter Zeichen in Sprache, die dann im Kopf Bilder und Handlung erzeugt – lesen Sie bitte einfach, was Sie freut!)

Journal Donnerstag, 10. Oktober 2024 – München herbstbunt

Freitag, 11. Oktober 2024

Aufgestanden zu Sternengefunkel, doch als ich mich auf den Arbeitsweg machte, dräuten dunkle Wolken in die blaue Stunde.

Straße zwischen modernen Gebäuden mit bunten Bäumen, darüber düsterer Himmel, im Vordergrund ein Radler

Noch war es mild, doch kaum erreichte ich das Bürogebäude, setzte Regen ein.

Im Büro mittelhohe Schlagzahl, ich hatte mich zudem für die jährliche Arbeitsschutzunterweisung eingetragen (seit Corona standardmäßig als Video-Schulung – es ist bereits schwer sich vorzustellen, dass wir uns dazu früher live in einem großen Konferenzraum zusammenpferchten). Erstmals war das Arbeiten von daheim ganz selbstverständlich integriert (inklusive hochdetaillierter Fragen zu Einzelfällen).

Für meinen Mittagscappuccino zog es mich raus, es regnete gerade nicht.

Im Vordergrund eine Tasse Cappuccino auf einem Fensterbrett, durchs Fenster Straßenszene mit nassem Boden und herbstbunten Bäumen

Herbst im Westend.

Zu Mittag gab es später einen Apfel und eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Nachmittags etwas weniger geordnet gearbeitet, aber doch einiges weggeschafft. Das Wetter wurde immer düsterer und regnerischer.

Größte Seltsamkeit des Tages: Die Raumtemperatur in meinem Büro war angenehm. Zeitweilig saß ich sogar in Bluse da, sonst plus Blazer, wie ich das halt früher bei Büroarbeit gewohnt war und seit ein paar Jahren nicht mehr.

Für den Heimweg passte ich eine Regenpause ab (Regenradar FTW) und rollkofferte die Kolleginnen-Quitten nach Hause.

Vorm Haus stutzte ich: Da saß ein Falke aus unserem Küchenbalkon.

Blick von unten auf Wohnblockbalkone, auf einem Sims sitzt ein Falke

Und er saß da gemütlich. Ich guckte ihm ein paar Minuten beim Gucken zu, beim Wippen, Kopfstrecken, schickte dem daheim arbeitenden Herrn Kaltmamsell eine Nachricht, dass er da saß. Dann ging ich hoch in der Hoffnung, den Falken noch von innen zu sehen. Doch jetzt war er weggeflogen (Herr Kaltmamsell hatte ihn noch gesehen).

Nach Yoga-Gymnastik machte ich auf Basis des gestrigen Ernteanteils Abendessen: Radicchio (ein hellgrüner) mit Balsamico-Thymian-Walnussöl-Dressing, gebratenen Pilzen (zugekauft) und Gorgonzola. Wurde sehr gut, Salat kann ich verlässlich (wieder ein Kandidat für Grabaufschrift). Nachtisch Karamellwaffeln, Schokolade.

Vom Familienmitglied im Krankenhaus leider nicht so gute Nachrichten, ich sorgte mich.

Im Bett die nächste Lektüre begonnen: Colm Tóibín, Long Island.

Gestern wurde die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Han Kang bekanntgegeben worden – endlich mal wieder jemand, von der ich schon etwas gelesen habe. The Vegetarian empfehle ich hier – ziemlich verstörend und sicher nicht was für jede*n.

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Auf der Rückreise von Mallorca gelesen, weil ich dachte, das Original sei türkisch in Übersetzung.

Elif Shafak, Michaela Grabinger (Übers. aus dem Englischen), Ehre, 2015 veröffentlicht, erzählt eine Geschichte aus der kurdisch-türkischen Einwanderung nach England, mit Vorgeschichte in der Heimat, im Zentrum eine konkrete Familie. Den Rahmen bildet eine Gewalttat: Die Ich-Erzählerin bereitet sich auf das Abholen des Mörders ihrer Mutter nach Ende seiner Haftstrafe aus dem Gefängnis vor, die Erzähl-Gegenwart sind die 1990er. Er ist ein Verwandter, doch noch wissen wir nicht einmal, in welchem Verhältnis er zu ihr steht. Dann verschwindet diese Erzählstimme, wird neutral, Zeitsprung in die Vergangenheit und das kurdische Dorf, aus dem die Familie stammt. Von dort wechselt die Geschichte immer wieder zwischen dieser dörflichen, in vieler Hinsicht archaischen Vergangenheit und den 1970er Jahren in London. Der rote Faden ist das Leben der Zwillingsschwestern Pembe und Jamila: Pembe zieht mit ihrem Istanbuler Ehemann und Kindern nach London, Jamila bleibt im Dorf. Erst im Schlusskapitel taucht die Erzählerin vom Anfang wieder auf: Der Tag des Abholens, den sie sich anfangs detailliert ausmalte, geschieht wirklich, sie reflektiert ihr Aufschreiben der Familiengeschichte.

Ich las diese Geschichte gern, hatte lebhafte Bilder vor allem von London vor Augen, sie interessierte mich. Etwas gemischt kamen bei mir die orientalistischen Elemente an: Magie und Aberglauben im kurdischen Dorf, eindimensionale Männerfiguren mit (schlussendlich tödlichem) zementiertem Ehrbegriff, betörend schöne junge Frauen. Noch kenne ich zu wenig türkische Literatur, um beurteilen zu können, ob hier westliche Erwartungen erfüllt werden oder das halt Teil der türkischen Erzähltradition ist.