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Journal Donnerstag, 26. September 2024 – Wanderruhetag in Palma mit drei Märkten

Freitag, 27. September 2024

Es wurde ein Tag der drei Märkte und der drei Backwerke.

Früh aufgewacht, mittelausgeschlafen.

Ganz erstaunlich, wie viele Hähne ich wieder hier mitten im Städtchen krähen hörte. Erst danach wachten die Spatzen auf und tschilpten dagegen.

Das Hotelfrühstück ließ ich gestern ganz aus: Brotzeit brauchte ich ja keine, wollte im Gegenteil meinen Appetit für Entdeckungen in Palma aufheben. Und der café con leche im Hotel ist… nicht gut.

Ich machte mich früh startklar, denn ich wollte vorher auf den Markt in Sóller, um nach Früchten aus der Gegend Ausschau zu halten. Offiziell öffnet er um acht Uhr, doch als ich nach einem (guten!) café con leche in einer Pastelería um halb neun hinkam, wurde noch aufgebaut, und die Ware der vier bereits bereiten Obst- und Gemüsehändler sah nach Großmarkt aus, nicht nach den Plantagen im Tal hier.

Brunnen, der auf einer aufgestellten Steinplatte aus rotem und grauem Marmor besteht, mit historistischen Verzierungen, daraus zwei Hähne, aus denen Wasser läuft, dazwischen an einer Kette eine schöne gestaltete Kelle

Brunnen am Hauptplatz von Sóller – mit Trinkkelle!

Nahm ich also gleich um neun die Holzbahn von Sóller nach Palma, wackelte und rumpelte in einem der sehr schön hergerichteten Wagen mit wenigen anderen Reisenden hinunter, durch Tunnels und in goldener Morgensonne. Wir passierten vor der Stadt auch ein Industriegebiet, darunter ein Fabrikgebäude mit der pastellfarbenen Aufschrift “Mundidulce” – aus der es wunderbar nach Vanillin duftete. Und wir passierten ein Lager aus gepflegten, ordentlichen Papphütten, ein kurze Erinnerung an die Wohnsituation hier auf der Insel.

Wandgemälde vor blauem Himmel mit riesigem sitzenden Baby. das aus einer Flasche trinkt, davor klein als Spielzeugeisenbahn der Holzzug von Palma

Ankommen mit Streetart in style.

Als roten Faden für meine Wege hatte ich mir die Suche nach einem Kleidungsstück aus Stoff mit dem hier typischen Muster ausgedacht, idealerweise ein Oberteil (dann würde ich keines meiner Oberteile waschen müssen). Ich hoffte, dass ich damit und mit Besuch der beiden Markthallen in Palma die fünf Stunden bis zur Rückfahrt vollkriegen würde.

Zurückgebundener Vorhang an einem großen Fenster, hellgrundig mit einem rustikalen blauen Muster

Hier der Stoff im Hotel als Vorhang, in Läden hatte ich bislang Beutel und Kissenüberzüge in diesem Muster in verschiedenen Farben gesehen.

Also klapperte ich die Einkaufsstraßen von Palma ab, schlenderte mal hierhin, mal dorthin, bewunderte Jugendstil-Fassaden.

Schmale städtische Altstadtgasse vor blauem Himmel, an einem Hauseck Streetart

Altmodische Ladenfront, in en Schaufenstern Fächer, darüber in mondernistischen Buchstaben "Paraguas"

Am Ende einer schmalen Alstadtgasse vor knallblauem Himmel ein mehrschoßiges hellgelbes Jugendstilgebäude mit Türmchen

Der erste Markt von Palma, den ich ansteuerte, war der große Mercat d’Olivar – und mir ging gleich beim Betreten das Herz auf: Das war ein Mercado wie aus dem Bilderbuch meiner Kindheit. Der Großteil der Stände bot Obst und Gemüse an, darunter oft Feigen und Granatäpfel aus aktueller spanischer Ernte, auch die typischen mallorquiner Tomaten, klein und dickschalig, die durch Antrocknen haltbar gemacht werden und eigentlich die korrekten für Pa Amb Oli sind – viel zu wenige natürlich für die Nachfrage seit dem Siegeszug dieses gerösteten Brots mit Tomate und Olivenöl. Fleischstände, Fischstände, Käse, Backwaren, Wein, Trockenfrüchte – und am Rand Bars, einige durchaus schick. Ich merkte mir Stände für Feigen, Käse, Nachtisch für alle Fälle vor.

Für nämlich die Fälle, dass ich im zweiten angesteuerten Markt das Gewünschte nicht bekommen würde, im kleineren Mercat de Santa Catalina, den ich vom Palma-Urlaub 2017 in so guter Erinnerung hatte. Dorthin spazierte ich in Sonne und steigenden Temperaturen als Nächstes.

Rechts sonnenbeschienene Festungsmauer aus hellen Steinen, links Palmen, dazwischen Steinweg

Auch hier alles weiterhin korrekt, ich kaufte eine Palmera (Blätterteiggebäck, überdimensioniertes Schweineohr), frische Feigen und galicischen Käse Tetilla fürs Abendessen (keine Lust auf Ausgehen).

Jetzt hatte ich Appetit, setzte mich an die Theke eines der Bares, bat um eine caña (kleines Bier) sowie ein Tumbet mit Spiegelei drauf, das mich in der Vitrine des Bars als Türmchen angelacht hatte – das war die Vorspeise gewesen, die mich am ersten Abend in Esporles so begeistert hatte.

Doch dann war wohl meine Tourismusabgabe fällig: Neben mir stand ein alter angesoffenen Mann (vor ihm ein fast leeres Rotweinglas), der mich ansprach und auf meine wohlerzogen freundliche Antwort zulaberte. Erst auf sowas wie Deutsch, dann auf Spanisch („Bin ja scho 84 Jahr!“, halt auf Spanisch), in dem Tonfall selbstgerechter und angeberischer Besserwisserei, wie ich sie von dieser Generation Spanier (egal aus welcher Region) nur zu gut kenne (mein Vater ist zum Glück anders). Ich antwortete knapp, ließ mich fast nicht provozieren überm Essen und Trinken (komplette Contenance verhinderte der Alkohol im Bier,  ich fürchte, ein Argument sang ich sogar), und schaute, dass ich weiterkam.

Mitfühlende Blicke der Köchinnen, und der Thekenmann – ein bezaubernder Schnauzbartträger mit türkis lackierten Fingernägeln – sah mich beim Zahlen (woran der alte Mann mich fast gehindert hätte, natürlich) sehr liebevoll an. Doch jetzt gräme ich mich wieder, weil ich gegen meinen Vorsatz verstoßen habe, in menschlicher Interaktion im Zweifel immer kindness walten zu lassen, ich wollte einfach nur raus aus der Situation. MENSCHEN!

Blick hinunter einen Kanal in Stufen, links Festungsmauer, in weiter Ferne Hafen

Bei einem kurzen Durchschnaufen auf einer schattigen Bank (es war heiß geworden, zum Glück wehte ein kräftiger Wind) beschloss ich, dass jetzt Süßes nötig war. Ich spazierte zurück in die Einkaufsstraßen und holte mir beim Horno Santo Cristo endlich mal eine kleine Ensaimada und ein Pain au chocolat, als “napolitana” weitergegeben.

Blick in ein schmales Schaufenster mit Töpferwaren und Stoff, alle mit dem markanten Muster des Hotel-Vorhangs

Was ich nicht kaufte. Stoffe in dem oben beschriebenen Muster sah ich, auch als Schürzen und in Stoffläden als Meterware. Doch das ist kein Kleidungsstoff, er ist dick und robust (obwohl ich mir einen Rock daraus durchaus vorstellen kann – Stoffkauf ohne irgendwelche Schneiderinnen-Kompetenz war mir dann doch zu riskant). Auch als Glasur von Töpferware gefiel mir das Muster.

Auf dem Bahnhofsplatz setzte ich mich in den Schatten, aß mein Gebäck und las, bis es Zeit für die Rückfahrt im Holzzug war.

Sonnige mediterrane Landschaft mit felsigen Hügeln

Schräger Blick aus den hölzernen Fenstern eines Zug-Abteils auf mediterrane Landschaft in der Sonne, rechts angeschnitten eine Passagierung mit dunklen langen Haaren

Erhöhte Sicht auf ein sonniges Tal, in dem eine Stadt liegt, umgeben von felsigen Bergen

In Sóller traf ich kurz vor fünf ein, freute mich über meine wohltemperiertes Hotelzimmmer (auch ohne Klimaanlage).

Was ich auf Mallorca bereits herausgefunden habe: Der Trend zum Birkenstock-Pantoffel als Sandale ist international und geht quer über alle Geschlechter und Altersgruppen. Vermutlich außer Kindern, die brauchen mehr Halt.
Apropos Kinder: Die sehe ich unter den vielen Tourist*innen praktisch nicht, ist ja Schulzeit in Europa. Hat etwas leicht Apokalyptisches.

Nachtmahl waren dann die Markteinkäufe: Feigen (die Verkäuferin hatte sie sorgfältig ausgesucht, es seien so ziemlich die letzten der Saison), Käse, Palmera – ohne Schokolade wegen Temperatur und Transport. War dann gar nicht so viel zu viel, wie es ausgesehen hatte – ich aß ein bisschen schneller, um nicht vor Ende schon voll zu sein.

Ted Chiang, Exhalation ausgelesen, wieder Kurzgeschichten, speculative fiction. Meiner Ansicht nach nicht so gut wie sein Meilenstein Story of your life und darin die gleichnamige Geschichte (verfilmt als Arrival): Zwar sind die what if-Prämissen auch in diesem zweiten Buch interessant und spannend, aber ihnen fehlt ein entsprechendes literarisches Format, das die Idee spiegelt (was ihm eben so meisterhaft mit “Story of your life” gelang). Fast allen Geschichten in Exhalation liegt das Nachdenken über menschlichen freien Wille zugrunde – doch mir war Vieles zu deutlich erklärt statt vorgeführt. Am besten gefiel mir die letzte Geschichte “Anxiety Is the Dizziness of Freedom”: Quantenphysik ermöglicht Computer, mit denen man parallele Lebensverläufe sehen und mit ihnen kommunizieren kann. Das ist schön erklärt und aufgeschlüsselt, endet für meinen Geschmack aber in zu viel Friede-Freude-Eierkuchen.

§

Eine Perspektive zum eigenen 60. Geburtstag (wie alle von Antje Schrupp anregend und interessant, egal ob ich zustimme oder nicht):
“Bin ich jetzt alt?”

60-Jährige haben mit anderen 60-Jährigen so gut wie nichts gemeinsam. Und das stimmt nicht nur für diejenigen, die schon als Kinder mit unterschiedlichen Startchancen ausgestattet waren, sondern auch für die, die ursprünglich aus sehr ähnlichen Verhältnissen kommen. Das Leben ist eine gigantische Unterschied-Erzeugungsmaschine, in einer wilden Kombination aus äußeren Umständen, eigener Entscheidung und Glück beziehungsweise Pech. Manchmal kommt eine akkumulierte Menge an Kleinigkeiten zusammen und lenkt ein Leben in diese oder jene Richtung. Manchmal braucht es aber nur einen einzigen Schicksalsmoment und etwas kippt: eine Trennung, eine Krankheit, ein beruflicher Erfolg oder Misserfolg.

Je älter ich werde, desto weniger bietet mein Jahrgang für mich eine Identifikationsmöglichkeit. Über die Boomer-Kolleg*innen meiner Generation, die sich über alles Neue lustig machen, kann ich mich maßlos aufregen. Ich finde es nicht übermäßig kompliziert, sich über die Bedeutung der Buchstabenreihe LGBTQI zu informieren oder darüber, was der Unterschied von Schwarz und Person of Color ist. Verglichen mit dem Kauderwelsch von Karl-Marx-Studienkreisen in meiner Studentinnenzeit ist das alles doch geradezu selbsterklärend – und damals hatten wir noch nicht mal Google!

Das mit dem beschriebenen Auseinanderdriften der Körpertüchtigkeit ist mir ebenfalls aufgefallen, zunächst bei meiner Elterngeneration. Manchmal sehe ich Über-90-Jährige im Fernsehen, die beim geschmeidigen Garteln gezeigt werden. Gleichzeitig kenne ich Mitt-70er-innen, die mit einem Fußmarsch weiter als zum eigenen Auto wegen Altersgebrechen überfordert sind.

(Dann wieder: War das unter uns Kindern so anders? Gab es da nicht auch die Sportskanonen, ständig am Rennen und Klettern, die einen Tennisschläger nur in die Hand nehmen mussten und schon gezielt Bälle trafen? Und gleichzeitig die Rumsitzer*innen, die keine Bewegung zu viel machten und schon beim Purzelbaum-Versuch besorgte Blicke der – damals noch so genannten – Kindergärtnerin ernteten?)

§

Was mir immer noch nachgeht: Die überraschende Erkenntnis aus dem Erlebnis im Markt in Palma, dass bunt lackierte Fingernägel einen fremden Mann in meinen Augen umgehend weniger bedrohlich machen.
1. Mir war nicht bewusst, WIE auf der Hut ich offensichtlich gegenüber Männern bin. Das hätte ich wahrscheinlich sogar abgestritten, ich gehe ja praktisch überall einfach rein oder hin, zu jeder Zeit. (Es ist mir aber IMMER bewusst, wenn da ein fremder Mann ist.)
2. Dank den Göttern und Göttinnen für das sich wandelnde Männlichkeitsbild bei der nachwachsenden Generation!

Jetzt muss ich darüber nachdenken, welche Faktoren einen fremden (oder nicht-fremden) Mann in meiner unbewussten Wahrnehmung bedrohlicher oder weniger bedrohlich machen.

Journal Montag, 16. September 2024 – Jenny Erpenbeck, Kairos

Dienstag, 17. September 2024

Die Lektüre dieses Romans war für mich belastend und anstrengend, er ist durchaus eine Zumutung. Denn er erzählt wirklich keine schöne Geschichte, keine angenehme. Aber er ist meisterlich erzählt. Literatur darf eine Zumutung sein.

Kairos beginnt mit einem Prolog, der die Rahmenhandlung in der Gegenwart bildet (er wird auch von einem Epilog auf derselben Zeitebene geschlossen): Jemand, der sich wenige Seiten später als Protagonist der Handlung erweist, stirbt.

Die eigentliche Handlung aber hat nochmal einen Rahmen, eine Variante von Umberto Ecos “Natürlich, eine alte Handschrift”: Die Protagonistin bekommt Kisten aus dem Nachlass des Verstorbenen, die Zeugnisse ihrer wenige Jahre langen Beziehung enthalten, Briefe, Geschenke. Ergänzt durch Unterlagen aus dieser Zeit, die sie selbst besitzt, bilden sie das Gerüst der Erzählung – und markieren den Roman als einen historischen über die letzten Jahre der DDR, den Mauerfall, die ersten Jahre danach.

Jetzt setzt die eigentliche Handlung ein: Eine 19-jährige Frau, Katharina, und ein Mann deutlich über 50, Hans, werden in der DDR der 1980er ein Liebespaar. Mir stellten sich sofort die Haare auf, das Literaturfeuilleton nannte dieses Sorte Phantasien alter Autoren irgendwann “Fond memories of vagina” (der Protagonist ist auch noch Autor). Nur: Diese war von einer Frau geschrieben. Die Assoziation schwand auch, als immer klarer wurde: Diese Beziehung ist nicht Beiwerk, sondern die Haupthandlung des Romans. Und dass sie immer düsterer, immer toxischer und damit belastend zu lesen wird, muss genau so sein.

Hans stellt sich als psychisch schwer beschädigt aus, womit er wiederum tiefe Schäden an Katharina anrichtet, die als ihren Affekten ausgeliefert geschildert wird und in emotionale Abhängigkeit von ihm gerät. Denn die Geschichte spielt vor dem Hintergrund der sich auflösenden DDR, kann in vielerlei Hinsicht als allegorischer Spiegel gelesen werden. Zunächst ist der Hintergrund einfach der Alltag in Ostberlin, wo sich die Liebesgeschichte zwischen der 19-Jährigen, die noch bei ihren Eltern wohnt, und dem verheirateten und renommierten Schriftsteller entwickelt. Anhand seiner Biografie werden Meilensteine der DDR-Geschichte eingeflochten, während die junge Frau schlicht nichts anderes kennt als dieses System.

Die Beziehung gerät immer weiter aus dem Gleichgewicht, Hans manipuliert seine Geliebte ins Unglück, und parallel wackelt auch das Gesellschaftssystem der DDR immer stärker: Die historischen Entwicklungen nehmen immer mehr Raum ein, jeweils um das Leben der beiden und ihrer Angehörigen erzählt, bis hinein in die Jahre nach dem Mauerfall mit seiner kompletten Auflösung aller bestehenden Strukturen, Verlust von Arbeitsplatz, oft Wohnung, Verlust aller Gewissheiten.

Das ist auch formal immer wieder spannend erzählt, mal mit fast lyrischen Mitteln, mal im Duktus einer biochemischen Abhandlung. Der Roman fängt dadurch die vielen Facetten einer Liebesbeziehung ebenso ein wie die eines erodierenden Gesellschaftssystems.

“Kairos”, der glückliche Moment, wird gleich am Anfang als Hohn auf diese Geschichte markiert.

§

Gut geschlafen, wenig nach Herrn Kaltmamsell aufgestanden zur Milchkaffee-Zubereitung für uns beide. Ohne Regen aufgewacht, doch wie vorhergesagt setzte er bald wieder ein.

Das frühe Aufstehen führte dazu, dass ich nach Bloggen, Mastodon- und ein wenig Zeitungslektüre recht früh für meine Schwimmpläne fertig war. Ich packte mich warm ein (wieder 7 Grad Höchsttemperatur) und nahm eine U-Bahn zum Olympiapark.

Blick von der Zuschauertribüne auf ein großes Schwimmbecken in einer hohen Schwimmhalle mit gegenüberliegender Fensterwand

Das Schwimmen lief sehr super: Ich glitt wieder wie eine Forelle durch das Wasser auf Bahn 7, die ich meine ganzen 3.300 Meter mit höchsten zwei (wechselnden) Schwimmer*innen teilen musste.

Mittags war ich bei einer Freundin verabredet, die wegen einer Verletzung bewegungseingeschränkt ist. Ich spazierte durch den kräftigen Regen übers Olympiagelände Richtung Neuhausen.

Düstere, verregnete Parklandschaft mit See im Vordergrund, wenigen Bäumen, Hügel im Hintergrund

Blick aufs düstere, verregnete Olympiagelände mit links Fernsehturm, vorne einer riesigen Strebe, die das Plastikdach des Olympiabads häte, davor, See und hügelige Wiesen

Semmelkauf und Mittagscappuccino in einer Bäckerei, Supermarkteinkäufe fürs Frühstück und für die Verletzte. Zu diesem Frühstück bei ihr aß ich zwei Schinkensemmeln, wir holten das Gespräch nach, das wegen der Verletzung hatte ausfallen müssen.

Nach Hause, es regnete fleißig weiter, nahm ich eine Tram vom Leonrodplatz, Herr Kaltmamsell war schon von der Arbeit daheim.

Bügeln zum Soundtrack des Spanien-Familienfilms, der mit dem QR-Code zur Spotify-Playlist endete (ICH LIEBE TECHNIK!). Wobei… Eigentlich hatte ich gleich auf der Rückfahrt am Sonntag reinhören wollen: Aber meine kabellosen Kopfhörere hatten sich mal wieder in den wenigen Tagen seit dem letzten Aufladen komplett entladen, Akku bei Null. (ICH LIEBE FUNKTIONIERENDE TECHNIK!)

Eine Einheit Yoga-Gymnastik – die sich gestern ausgerechnet auf Schultern und die Rückenmuskeln konzentrierte, die ich beim Schwimmen reichlich genutzt hatte. Ging trotzdem, bereitete Freude. Als Aperitif holte ich den Apfel nach, den ich zum Frühstück vergessen hatte.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell die erste Umsetzung eines Rezepts aus dem Hochzeitskochbuch vom August: Fenchel-Tomaten-Unsinn (Fenchel und Sellerie aus Ernteanteil).

Blick von oben in eine Pfanne mit gegartem Gemüse, erkennbar sind Fenchelstreifen, Tomatenstücke, schwarze Oliven

Dazu gebratener Halloumi – sehr gut. Nachtisch Schokolade.

Ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass ich schon Mittwochmorgen verreisen werde. Aber Dienstag habe ich richtig frei – ein ganzer Tag, um mich vor der Abreise noch völlig verrückt zu machen!

§

Der Zusammenhang zwischen den derzeitigen starken Regenfällen samt Überflutungen und Klimawandel:
“Luft voller Wasser”.

Journal Sonntag, 15. September 2024 – Familien-Filmshow

Montag, 16. September 2024

Eher unruhige Nacht, diese mit einem Loch um zwei Uhr. Nicht ganz munter aufgestanden.

Der Morgen war durchgeplant, denn ich würde vormittags mit Herrn Kaltmamsell nach Ingolstadt fahren: Einladung zum Mittagessen bei meinen Eltern, und für den Nachmittag hatte Neffe 1 einen Raum besorgt, um den Film zu zeigen, den er über die Kastilienreise mit seinen Geschwistern im August gemacht hatte. (Zu Erinnerung: Die drei Nifften, Kinder meines Bruders, um die 20 Jahre alt, waren im Auto zur spanischen Familie gefahren, die wir 2023 zu neunt besucht hatten.) Davor hatte ich eine Laufrunde eingeplant.

Sonnenbeschienenes Baumlaub aus der Perspektive eines oberen Stockwerks, angeschnitten ein ebenso beschienenes modernes Gebäude

Der Regen hatte aufgehört (wie sich herausstellte vorübergehend), zwar war es mit 7 Grad weiterhin kalt, doch ich freute mich auf einen Isarlauf in schönem Licht. Nach kurzer Hose vor einer Woche also gefütterte lange Laufhose unter Überspringen der Caprihosenlänge.

Nur dass mir bis dahin eine Stunde verloren ging: Als ich mich von Herrn Kaltmamsell verabschiedete, sah er kurz auf sein Handy – und mir wurde klar, dass es eine Stunde später war, als ich angenommen hatte.

Ich war zur berechneten Zeit aufgestanden, hatte Wäsche aufgehängt, Morgenkaffee getrunken und gebloggt, ein Blick auf die Uhr hatte mich gefreut, weil ich noch über eine halbe Stunde bis zur berechneten Zeit fürs Fertigmachen zum Loslaufen hatte. Das muss der Moment des Irrtums gewesen sein. Jetzt stand ich ein paar Augenblicke ratlos in voller Laufkleidung herum – dann zog ich mich halt wieder aus und ging ich gleich unter die Dusche, bedauerte den verlorenen Isarlauf.

Auch auf dem Weg zum Bahnhof war es ganz schön frisch. Da ich nicht beurteilen konnte, wie heizbar und beheizt der Filmvorführraum in einem historischen Gemäuer sein würde, hatte ich reichlich Zusatzpullis und Wollsocken dabei.

Regengraue Landschaft mit einem leeren und einem bewachsenen Hopfengarten

Unterwegs Hopfencheck: Der meiste war bereits abgeerntet, doch einige Hopfengärten noch nicht (diesjährige Ernte gut, aber Nachfrage sinkend).

Aber erstmal gab es bei meinen Eltern Mittagessen mit dem Großteil der Bruderfamilie, meine Mutter hatte eine Zarzuela de mariscos gekocht:

Große Pfanne mit Fischstücken, roten Garnelen, Miesmuscheln

Unter Fisch und Meerestieren Gemüse inklusive Kartoffeln: Köstlich. Dazu erzählte die Nichte von ihrem Einstieg ins Jahr Bundesfreiwilligendienst (Bufdi genannt, hihi).

Nächster Programmpunkt: Filmvorführung in der Harderbastei, einem Teil der Ingolstädter Festungsanlagen. Ich finde ja weiterhin, dass Ingolstadt viel zu wenig aus dieser einzigartigen Stadtstruktur macht, die durch die omnipräsenten und oft architektonisch interessanten Militärbauten aus vielen Jahrhunderten erzeugt wird.

Frau von hinten, die in den dunklen Torbogen eines alten, weißen Gebäudes geht, über dem EIngang die Schrift "Städtische Galerie Harderbastei"

Unter einem Gewölbebogen aus rohen, gelblichen flachen Steinen bunte Pappmache-Köpfe, das Modell einer alten Kirche

Gewölbe aus dem 16. Jahrhundert, offensichtlich Jurasteine.

Der vorführende Neffe hatte für spanische Speisen (Tortilla, Papatitas, Pimientos de padrón, Oliven, Pipas, Maíz) und Getränke gesorgt, einen Hinterraum der Harderbastei bestuhlt und mit Leinwand ausgestattet – und muckelig warm geheizt. Hier kam auch der Rest der Bruderfamilie dazu, außerdem zahlreiche Freunde der Nifften oder eh der Familie.

Reichlich Gespräche, auch Kennenlernen, einige der Anwesenden hatten die Reise der Nifften durch Berichte und Fotos in einer eigens dafür eingerichteten WhatsApp-Gruppe mitverfolgt. Anderthalb Stunden liebevollst geschnitteter, vertonter und beschrifteter Film: Ich freute mich arg, die vertrauten Orte und die spanische Familie zu sehen.

Auf der Zugfahrt zurück nach München regnete es immer heftiger, wie schon in den Tagen zuvor prognostiziert trafen jetzt immer schlimmere Meldungen über Hochwasser und Überschwemmungen aus Niederösterreich, Polen, Tschechien, Rumänien ein.

Daheim schnippelte ich mir ein Abendessen aus oberbayerischen Pfirsichen (ein Freund meiner Eltern hat dieses Jahr reiche Ernte, wir hatten ein Kistlein mitbekommen) und Joghurt, danach aß ich viel Schokolade. Dazu holte ich die 20-Uhr-Tagesschau nach mit bedrückenden Überschwemmungsbildern. “Klimawandel” wird schon gar nicht mehr dazugesagt, ich weiß nicht, ob das nützt.

Im Zug zurück nach München hatte ich Jenny Erpenbecks Kairos ausgelesen, darüber werde ich noch schreiben (meiner Ansicht nach hervorragend, aber wirklich kein Lesevergnügen – Literatur darf auch Zumutung sein). Jetzt stellte ich Urlaubslektüre auf meinem E-Book-Reader zusammen, davon begann ich im Bett (unbedingt mit Wärmflasche) die Geschichtensammlung von Ted Chiang: Exhalation.

§

Maximilian Buddenbohm war an der See und beobachtete andere Urlaubende:
“Zusammengefegte Reste”.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es ihm ums Festhalten zeittypischer Erscheinungen geht – und wer das nicht als stimmungserzeugende Kolumne an Zeitungen verkaufen muss, kann sich dabei sogar Neutralität leisten, denn

Es gibt keinen Grund, darüber zu spotten, ich schreibe es nur so mit. Es verwirrt etwas durch das Unweigerliche – wie gleich und ungemein berechenbar wir alle sind.

Journal Freitag, 6. September 2024 – Von der Anstrengung, mein Geld loszuwerden

Samstag, 7. September 2024

Dank Ohrstöpseln tief und gut geschlafen. Draußen brach der angekündigte Regentag an, die geplante weiße Jeans ließ ich lieber im Schrank (aufspritzender Straßendreck beim Gehen erzeugt unauswaschbare Flecken). Aber: Guter Sommer, ich habe alle meine Sommerkleidung mindestens einmal getragen.

Für meinen Weg in die Arbeit blieb der Regenschirm dann doch geschlossen, aus dem düstergrauen Himmel fiel kein Regen mehr.

Verregnete Straße mit Altbauten, im Hintergrund ein Backstein-Kirchturm

Emsiger Arbeitsvormittag, die Vollzughindernisse des Vortags waren über Nacht verschwunden. Die Glücksgefühle nach erfolgreicher Erfüllung dieses Auftrags führten aber dazu, dass ich mir ein wenig vorkam wie Wauzi, der einen Ball apportiert hat, JÄPP JÄPP, *schwanzwedel*.

Für meinen Mittagscappuccino ging ich raus ins Westend, mit kurzen Ärmeln war mir fast zu frisch. Zurück am Schreibtisch noch eine Runde berufliche Reise-Orga, dann gab’s Mango mit Sojajoghurt. (Einmerker: Mangos künftig nicht bis zur Marmeladigkeit reifen lassen, mit etwas Säure mag ich sie lieber.)

Anstrengender Nachmittag, während es draußen sonnig wurde. Pünktlicher Feierabend, weil ich Besorgungen vorhatte und dafür ins Stadtzentrum spazierte. In der Sonne war es bereits wieder einen Tick zu warm.

Unter anderem wollte ich Herrn Kaltmamsells Geburtstagsgeschenk in einem Fachgeschäft in der Innenstadt kaufen. Recherchiert hatte ich das Ding im Web, aber Sie wissen ja, dass ich als Innenstadt-Bewohnerin gerne die kleinen (und großen) Geschäfte durch Einkauf vor Ort am Leben erhalten möchte.

Nur dass vor diesem Geschäft eine Schlange stand, obwohl der Laden eher leer aussah. Und der Security-Mensch (!!! wir reden hier von einem Fachgeschäft für Alltagsgegenstände, keineswegs von einem Juwelier oder Louis Vuitton) mir auf entgeisterte Nachfrage erklärte, dass nur so viele Menschen reingelassen würden, wie beraten werden könnten, das mache die Beratung besser. Mittlerweile fassungslos fragte ich nach, dass ich mir die Produkte also auch nicht einfach ansehen dürfe? Nein.

Also vereinbarte ich innerlich mit dem Laden: Wenn ich kürzer in der Schlange warten müsste als ich brauchte, um den Artikel auf meinem Smartphone nochmal gründlich online zu recherchieren und zu kaufen, würde ich in den Laden gehen, sonst nicht. Ergebnis: Ich kaufte online, der Laden zog den Kürzeren und kann meinetwegen eingehen. Schaun wir mal, was danach reinkommt. Noch ein Burger-Laden? (Eine Frau in der Schlange erzählte, dass sie nur etwas umtauschen wolle und trotzdem nicht reingelassen werde.)

Obstkauf beim Eataly. Einen Schurwollpulli fürs Winterbüro gekauft, den ich online entdeckt hatte, in einem Laden, an dem ich dafür nicht Schlange stehen musste. (Ich komme weiterhin nicht darüber hinweg.) Und dann noch als Extra-Belohnung an einem Standl zwei Bund Dahlien.

Zu Hause traf ich dann doch recht verschwitzt ein. Blumen versorgt – und dabei überrascht nach draußen gehorcht: Im Nußbaumpark gab’s Alphornmusik der nicht-traditionellen Art. Herr Kaltmamsell recherchierte: Das war Marcel Engler, der “Loisach Marci”.

Endlich wieder Yoga-Gymnastik, wenn auch eine eher ungeliebte Schlussfolge von Adriennes 30-Tage-Programmen, zu denen sie nichts ansagt, sondern nur turnt. Ging aber gut, tat gut.

Fürs Abendessen hatte Herr Kaltmamsell schon am Donnerstag Rillettes hergestellt, wollte er schon lang mal machen. Aus Ernteanteil-Salätchen, -Gurke, -Tomaten machte ich Salat, verwendete dafür das Öl eines Glases eingelegter Antipasti-Artischocken (leider zu viel davon). Weiters gab es Fladenbrot vom Balkanbäcker und allgäuer Käse vom Markt. Als Aperitif rührte uns Herr Kaltmamsell Martini-Cocktail, zum Essen tranken wir den Chardonnay weg, den er für die Rillettes (Kalb übrigens) verwendet hatte.

Gedeckter Tisch mit den vorher beschriebenen Speisen und Getränken

Beschallung weiterhin von draußen interessanter Alphorn-Techno. Nachtisch Schokolade.

Im Bett neue Lektüre: Jenny Erpenbeck, Kairos. Ich hatte ihr Geschichte vom alten Kind sehr gemocht, auch hier ging es sprachlich eigenwillig los.

Vor zwei Wochen hatte ich in einem Fine-Dining-Restaurant reserviert, das ich gerne mal ausprobieren wollte und das bei vorherigen Versuchen immer schon ausgebucht war. Ein Lokal aus der Ohne-Sterne-Welt, deshalb war ich überrascht, dass ich mein Erstgeborenes verpfänden sowie mit Kreditkarten-Daten garantieren musste, dass ich echt, echt ehrlich kommen würde. Als also gestern, eine Woche vor Termin, eine Drängel-Mail kam, KÖNNEN WIR NOCH IRGENDWAS FÜR SIE TUN HABEN SIE SONDERWÜNSCHE KOMMEN SIE WIRKLICH????, musste ich pampig werden:
“Wir freuen uns auf den Abend bei Ihnen – und sind gespannt, welche weiteren Hürden wird überwinden müssen für die Reservierung und ihre tatsächlich Einlösung. Vielleicht dürfen wir nur über Ihre Türschwelle, wenn wir ein Rätsel lösen? Es wird so spannend!”

Die Gastro-Entwicklung in München, die uns schon Reservierungs-Druck für einfaches Kaffeetrinken und Zwei-Stunden-Slots für Abendessen eingebrockt hat, treibt weitere groteske Blüten.

§

Hanna Schygulla gehört zu den Menschen, die beim Altern immer mehr aussehen wie sie selbst, gestern ein Porträt im SZ-Magazin (€):
“Audienz bei einer Diva”.

Journal Freitag, 30. August 2024 – Anja Reich, Simone

Samstag, 31. August 2024

Recht gut geschlafen, ich hörte Herrn Kaltmamsell irgendwann heimkommen.

Ein klarer Morgen, sehr frisch. Ich setzte mich dennoch für meinen Morgenkaffee auf den Balkon.

Blick durchs Glas des Balkonfensters auf den Balon, auf dem Tisch mit Tasse, Laptop, Wasserglas stehen, im Glas spiegelt sich eine Stehlampe, vor dem Balkon wir der Himmel gerade ein wenig hell

Irgendwann setzte sich Herr Kaltmamsell zu mir (sehr ungewöhnlich am Morgen) und begann: “Änderungen der Pläne. Alles gut, aber schlechte Nachrichten, aber alles gut.” Die schlechte Nachricht war die von einem häuslichen Unfall seiner Mutter; zum Glück in seiner Anwesenheit, er konnte sich kümmern, ins Krankenhaus mitfahren etc.

Marsch in die Arbeit durch Morgenfrische, im Büro schlüpfte ich gleich mal in meine Wolljacke. Beim Sortieren der gestrigen Süddeutschen das erst Highlight des Tages.

Titelseite SZ-Magazin: Eine alte dicke Frau in Blumen-Bikini sitzt auf einem Korbstuhl und blickt keck selbstbewusst in die Kamera

Ich feier das Foto und diesen Blick SO!
Ja, meine Herrschaften, so sieht der Körper einer alten Frau aus. Die genauso ein Anrecht auf Strand mit Sonne und Wind auf der Haut hat wie alle anderen. Und die sich genauso wenig Ihre Gedanken und Urteile dazu anhören muss wie eine junge.

Der Artikel dazu ist gut, aber auch ein wenig traurig. Gut, weil Autorin Barbara Bachmann nicht auf Teufel komm raus etwas Besonderes reinzuspitzt, keine kuschlige Dorfgemeinschaft auf Capri konstruiert, sondern die Frauen halt so normal und individuell darstellt, wie sie wahrscheinlich sind. Traurig, weil klar wird: Altsein ist nicht wirklich die ultimative Party, einsam kann man auch in kleinen Communitys sein.

Meine bezahlte Geschäftigkeit begann mit Erleichterung, weil sich das Arbeits-Problem des Vorabends gelöst hatte (durch mein Anschieben), ging weiter mit Freude, weil ich das nächste Problem, das mir telefonisch durchgestellt wurde, auch lösen konnte.

Im Büro war es weiterhin Strickjacken-kalt, ich wärmte mich auf dem Weg zu meinem Mittagscappuccino im Westend auf.

Auf einer tiefen, niedrigen Fensterbank eine Cappuccinotasse, ein ausgestrecktes Bein mit dunkelblau-weißem Rock und roter Sandale, darin Fuß mit rot lackierten Zehennägeln, vorm Fenster deckt jemand Tische ein, im Hintergrund sonnige Altbauten

(Ich sitze nur so komisch da, um meine gestrige Kleidung und Schuhe mit aufs Foto zu bekommen.)

Brotzeit zu Mittag: Restliche Kartoffeln vom Vorabend, Melone, Trauben. Wie befürchtet: Ich fühlte mich sehr voll (schaffte das Pumpernickelbrot mit Butter nicht, dass noch im Kühlschrank lag), doch zweieinhalb Stunden später knurrte mir schon wieder der Magen. Jetzt ging Pumpernickel nicht mehr, wenn er mir beim Yoga nicht hochkommen sollte. Blöderweise war mir auch noch schwindelig, das nahm mir einiges von der Freude auf den Feierabend.

Nach pünktlichem Arbeitsende gemütliches Spazieren zu Einkäufen in Drogeriemarkt und Vollcorner, daheim Yoga-Gymnastik, eine ruhige Folge – die mich allerdings weiterhin die Folgen des Unterschenkelkrampfs rechts beim Schwimmen am Mittwochnachmittag spüren ließ, auf den letzten 100 Metern hatte mich diese Veranlagung doch noch eingeholt. Auf den Alkohol zur Wochenend-Entspannung freute ich mich sehr, ich mischte uns den ersehnten Aperol Spritz.

Auf einem Balkontisch zwei große Stilgläser mit hell-oranger Flüssigkeit und Strohalmen, orange Markise herabgelassen, auf der die Sonne Schatten zeichnet

Und er hatte sofort die medikamentöse Wirkung, die ich erhofft hatte. (Lebensverkürzung kann mich ja nicht schrecken.) Auf dem Balkon saß es sich wunderbar in warmer Luft. Die kürzeren Tage verhindern auch heiße Nächte, ich öffnete schon bald nach Sonnenuntergang die Fenster.

Früheres Abendessen, weil ich jetzt echt Hunger hatte: Herr Kaltmamsell verwandelte die Ernteanteil-Aubergine in wunderbare Spaghetti Norma. Zum Nachtisch gab es Haselnusseis.

Besonders früh ins Bett zum Lesen (zum einen wegen Alkohol-Müdigkeit, zum anderen darf man ja am Wochenende so früh ins Bett, wie man will). Dort Anja Reich, Simone ausgelesen. Ich fand das Buch bis zuletzt sehr gut, auch wenn es mich in meinem jetzigen Zustand eher runterzog.

Kein Roman, sondern eine reale Geschichte, persönliche Erinnerung, journalistische Recherche: 25 Jahre nach deren Suizid forscht Anja Reich ihrer Freundin Simone nach, die sie Mitte der 1980er noch im DDR-Berlin als Schwester ihres Freunds André kennenlernte. Reich ist erfahrene Journalistin und wendet ihr Handwerkszeug an, doch sie reflektiert sich auch persönlich und ihre Verbindung zu Simone. Basis ihrer Recherche ist Simones Nachlass: Sie hat von Jugend an Tagebuch geführt, Simones Eltern überlassen Anja Reich alle Unterlagen, die sie ohnehin gerade entsorgen wollten. Reich spricht mit Simones damaligen Freunden, Liebhabern, mit ihrer Familie in Tschechien und Deutschland, zitiert aus Simone Aufzeichnungen. Doch sie geht auch ihren eigenen Schuldgefühlen und ihrer eigenen Trauer nach, spricht mit Expert*innen für psychische Erkrankungen und Suizid, recherchiert aber auch Hintergründe der gesellschaftlichen Dynamik nach dem Mauerfall in Ostdeutschland.

Das Ergebnis ist ein Geschichtsbuch, das an konkreten Beispielen, auch dem ihres eigenen Lebens, ein klein wenig nachvollziehbar macht, welche existenzielle Erschütterung das Verschwinden der DDR für fast alle ihre Bewohnenden war: Keine der bisherigen Regeln, Verlässlichkeiten und Aussichten galten mehr, hart erkämpfte Errungenschaften waren nichts mehr wert, vielleicht sogar man selbst nicht. Das macht Reich gleichzeitig journalistisch professionell und persönlich nahbar; sie zielt nicht auf Effekte, sondern auf Erkenntnis. Und transportiert sehr viel weitere Information, unter anderem Strukturen der Kinderbetreuung in der DDR (-> Wochenkrippen), am Beispiel von Simones Mutter Dana und ihrer Familie die Lebensläufe von tschechischen Einwanderern in die DDR oder den Ausnahme-Alltag in Berlin nach dem Mauerfall.

Journal Sonntag, 25. August 2024 – Return of the Drinnen

Montag, 26. August 2024

Gestern also der angekündigte Regensonntag. Von Fenster zu, damit es nicht heiß reinkommt am Samstag (28 Grad) zu Fenster zu, damit es nicht kalt reinkommt (15 Grad).

Ausgeschlafen, zu meiner Überraschung und Freude hatte das Wetter genug Sommer für Balkonkaffee übrig gelassen. Über die folgenden beiden Stunden, die ich dort saß, wurde es allerdings langsam und spürbar kühler, ich wechselte an den Esstisch drinnen.

Gestern hatte ich eine Laufrunde an der Isar geplant, mein Sonntagsrhythmus (je älter ich werde, desto eingefahrener in diesen Dingen) legte den Start auf etwa 10 Uhr. Der Regenradar, der ja nun auch nicht gerade für Kompromissbereitschaft bekannt ist, legte den Start eines ernsthaften und ausgedehnten Regengebiets auf dieselbe Zeit. Also setzten wir beide stoisch unsere Vorhaben um: Ich nahm in Schirmmütze und Regenjacke die U-Bahn nach Thalkirchen, das Wetter begann bei meinem Verlassen des U-Bahnhofs zu tröpfeln, verstärkte Vorhersage-gemäß den Regen im Lauf meiner 100 Minuten immer weiter – aber nie Spaß-verderbend unangenehm, danke schön.

Lohn der Regenläuferin: Fast keine anderen Leute.

Nebenfluss mit Uferbewachsung unter dunklen Wolken

Tröpfeln in Thalkirchen.

Blick von oben auf Fluss (rechts), Uferwege (Mitte), Nebenfluss (links) mit viel Ufergrün, dunkelgrauer Himmel

Regenwolken über der Großhesseloher Brücke.

Hydrant in hoch und wild gewachsener Wiese

Parkbank mit fehlenden Sitzbrettern und Rückenlehne, darum ein weiß-rotes Plastikband, dahinter Blick aufs Isartal

Bank überm Isartal bei Pullach kaputt!

Teich im Regendunst, am gegenüberliegenden Ufer eine Hütte aus dunklem Holz

Richtig Regen auf dem Rückweg am Hinterbrühler See.

Erst in der zweiten Hälfte lief ich leichter und mit Genuss, davor fühlte sich das Traben ein wenig mühsam an. Abschließend holte ich Frühstückssemmeln beim Zöttl (der mit den guten Laugen-Zöpferln).

Eines davon gab es kurz vor zwei zum Frühstück mit Tomate, außerdem Pfirsich mit Joghurt und Leinsamenschrot. In Socken, langen Ärmeln, Hosenbeinen, Strickjacke las ich die Wochenend-Süddeutsche. Ich empfehle das Buch zwei über die Frankfurter Drogenszene, warum sie in den vergangenen Jahren so schlimm geworden ist und wer welche Ideen zur Abhilfe hat. Gianna Niewel schreibt angenehm wertungsfrei, hat mit vielen Menschen vor Ort gesprochen, auch mit einigen Drogenabhängigen, um die es ja geht (€):
“Hilfe!”

Eine Runde Bügeln, fast genug für diese arte-Doku, die ich seit Wochen als offenen Tab im Browser hatte:
“Menopause – Frauen berichten”.
Genauer gesagt: Französische Frauen berichten, das ist meiner Meinung nach sehr deutlich. Dennoch fand ich die verschiedenen persönlichen Perspektiven spannend – die sich alle von meinen Erfahrungen unterschieden. Wichtig aber: Dass wir darüber sprechen, dass die weiblichen Wechseljahre endlich aus dem Tabu rauskommen, das sie umgibt. Ich sehe in den vergangenen Jahren deutliche Anzeichen dafür, jetzt aber bitte nicht nachlassen.

Es regnete einfach durch.

Ich stoppe ja nicht mit (wer stoppt schon den Zeitaufwand für ein Hobby mit?), aber gerade als ich dachte, bis Yoga-Gymnastik könnte ich ja noch ein Stündchen Roman lesen, fiel mir ein, dass ich erst noch die Fotos vom Isarlauf runterladen, benamsen, für den Blogpost bearbeiten könnte – und dann war vor Yoga-Gymnastik gar keine Zeit mehr für Romanlesen. No na, andere Leute gucken Serien.

Yoga-Gymnastik war wohltuend und anstrengend. Fürs Nachtmahl sorgte wieder Herr Kaltmamsell: Er kochte ein Lamm-Curry auf der Basis einer geschenkten Gewürzmischung. War gut, war mir nur ein wenig zu scharf, so dass ich das Lamm gar nicht richtig schmeckte – und ich mag Lammgeschmack sehr gern.

Beim Abräumen rief Herr Kaltmamsell erschrocken nach mir: Eine überraschend große Heuschrecke hatte sich ins Wohnzimmer verirrt. Mit koordiniertem Einsatz, Schüsseln und Zeitung fingen wir sie ein und setzten sie auf die Balkonbrüstung.

Auf einer Balkonbrüstung eine Tonschale Wasser, daneben eine grüne Heuschrecke

Nachtisch Zwetschgenkuchen und Schokolade. Auf arte lief einer meiner Allzeit-Lieblingsfilme: Gattaca.

Im Bett beim Lesen beschlossen, Miranda July, All Fours nach einem Viertel abzubrechen: So ein Schmarrn. Die Grundidee hätte schon lustig sein können: Eine Künstlerin/Autorin in Los Angeles mit Mann und Kindern beschließt, eine Reise nach New York mit dem Auto anzutreten, kommt aber nicht mal aus ihrer Heimatstadt raus und mietet sich in einem Hotel ein, lässt ihr Zimmer für 20.000 Doller neu dekorieren, empfindet eine Obsession für einen Mietauto-Angestellten. Doch alles daran wird derart ausufernd bis in jedes noch so unnötige Detail beschrieben, jede noch so kleine Empfindung wird unter die Selbstreflexions-Lupe genommen, Formulierungen wiederholen sich ständig – nichts daran interessierte mich, glaubte ich auch nur. Weg damit, es gibt Dutzende anderer Bücher, die ich lieber lesen möchte. Ich lud ein weiteres von meiner Wunschliste herunter: Anja Reich, Simone. Der Anfang las sich schon so fesselnd, dass ich das Licht später löschte, als ich geplant hatte.

§

Herzbruch hat erfahren, dass sich Lars Klingbeil in Chicago auf dem Parteitag der US-Demokraten Inspiratation für den SPD-Bundestagswahlkampf geholt hat und malt sich die Umsetzung aus.

Das ist fachlich fundiert und komisch – allerdings gehen emotional mitreißende Politik-Veranstaltungen mit charismatischen Politiker*innen komplett an meinen persönlichen Emotionen vorbei: Ich grusle mich, denn mir fällt sofort die prä-demokratische deutsche Vergangenheit ein, in der das mit dem charismatischen Mitreißen sehr gut und mit verheerenden Auswirkungen auf große Teile der Menschheit funktioniert hat. Ich stehe auf sachliche Politiker*innen und Inhalts-orientierte Politik, lassen mich ob dieser Oxymoren aber gerne auslachen und weiß, dass auch die Forschung Wahlentscheidungen zu nahezu 100 Prozent auf nicht-sachlicher Basis nachweist.

Journal Samstag, 24. August 2024 – Return of the Hochsommer

Sonntag, 25. August 2024

Recht früh aufgewacht, doch da ich mich ausgeschlafen fühlte, stand ich auf.

Blick über einen Balkontisch hinweg, auf dem zugeklappter Laptop, Kaffeetasse, Wasserglas stehen, in einen Park mit hellblauem Morgenhimmel

Hurra, nochmal Balkonkaffee.

Auf dem Balkonsims eine Kohlmeise, dahinter Sonnen-beschienener Park

Meisi zu Besuch.

Nach dem Fertigbloggen buk ich Zwetschgenkuchen mit Mürbteigboden.

Schwarze Springform, darin Zwetschgenkuchen

Wie schon beim Einkauf auf dem Markt staunte ich über die Größe der Zwetschgen, hat’s am Bodensee (daher kommen die Früchte laut Marktstandl-Schild) noch Tschernobyl-Reststrahlung?

Sportplan für gestern: Schwimmen im Dantebad. Das Hinradeln war schon mal schön in strahlender Sonne und noch ohne Hitze. Schwimmen war auch meistens schön, ich erschrak nur zweimal sehr, weil jemand mich kurz vor Bahnende überholte und am Beckenrand auftauchte, an dem ich gerade wenden wollte (und dann stehenblieb, mein Angebot ablehnte, vor mir weiterzuschwimmen). Um die Mittagszeit war es immer noch nicht unangenehm heiß, ich legte mich in die Sonne und hörte Musik.

Heimradeln jetzt in Hitze unter wolkenlosem Himmel über Semmel- und weiteren Wochenendeinkauf. Daheim erstmal Frühstück: Kurz vor drei gab es zwei Körnersemmeln mit Butter und Tomate. Den Zwetschgenkuchen schnitt ich erst nach dem Duschen an, schlug Sahne dazu – köstlich.

Blick vom Wohnzimmer auf den Balkon mit geschlossener Balkontür, leuchtend oranger Markise, links davon Wohnzimmerfenster mit herabgelassenem Rolladen

Vertrödelter Nachmittag in angenehmer Temperatur bei geschlossenen Fenstern mit Playlist-Zusammenklicken, restliche Zwetschgen zu Zwetschgenröster Einkochen für den nächsten Kaiserschmarrn, Yoga-Gymnastik, schonmal PetNat Heinrich Oh when the Saints aufmachen, während Herr Kaltmamsell Ernteanteil-Zucchini mit Garnelen nach einen Jamie-Oliver-Rezept zubereitete.

Außen, Himmel mit vielfarbigen Wolken, davor Kirchturm und Park

Der Abendhimmel passte zur Vorhersage mit Wetterumschwung.

Beim Rumzappen im Fernsehprogramm, was wir schmerzfrei laufen lassen konnten, blieben wir an Freunde mit gewissen Vorzügen von 2011 hängen – weil die Dialoge so schön originell waren und auf einer RomCom-Metaebene spielten. Vor dem vorhersehbar klebrigen Schluss schaltete ich aber lieber aus.

Im Bett neue Lektüre: In der Stadtbibliothek stand rechtzeitig das vorgemerkte All Fours von Miranda July bereit, der Anfang las sich vergnüglich.