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Journal Montag, 19. August 2024 – Augustregengrauer Arbeitsmontag

Dienstag, 20. August 2024

Nachts ein paar Mal ein wenig aufgewacht, jedesmal die Regengeräusche vorm Fenster wahrgenommen. Es hatte auch deutlich abgekühlt, ich musste meine Kleidungspläne umwerfen (und betrachtete traurig meine sorgfältig und überraschend gelungen rot lackierten Zehennägel, die ganz auf Sandalen ausgelegt waren und sehr wahrscheinlich in geschlossenen Schuhe umgehend abgeschubberte Spitzen bekommen würden).

Arbeitsweg in leichtem Regen und leichtem Kapuzenmantel. Leider bestätigte sich, dass dessen schicke Kapuze nicht regentauglich ist: Zu weit, jeder Windhauch weht sie vom zu schützenden Kopf. Ein Fehlkauf, vielleicht kann eine Änderungsschneiderin etwas richten.

Verregnete Straße gesäumt von Altbauten, links Leuchtschild "Z Breze", im Hintergrund ein Backstein-Kirchturm

Gollierstraße. Schlechtes Wetter ist schwer zu fotografieren.

Im Büro (urlaubsleere Flure) gleichmal durchgestartet: Als ich mit dem E-Mail-Eingang seit Mittwoch durch war, stellte sich der Inhalt als gar nicht so aufwändig heraus, Erleichterung.

Blick aus dem Bürofenster ins Trübe: Einheitlich grauer Himmel, düsteres Licht, Dauerregen – schon sehr greislich.

Nach Mittagscappuccino bei Nachbars ging ich noch in leichtem Regen auf ein paar Einkäufe zum Lidl, bekam unter anderem riesige reife Feigen. Spätes Mittagessen am Schreibtisch: Die reifste der Feigen (saftig und köstlich), Quark mit Joghurt.

Gegen zwei hörte der Regen auf, es wurde deutlich heller. Stellte sich als Finte heraus, es regnete kurz darauf weiter.

Ich ließ den Feierabend nicht allzu spät werden, überzeugt mich selbst, dass ich manches wirklich auch am Dienstag erledigen konnte.

Auf dem Heimweg (Einkäufe im Vollcorner und Drogeriemarkt) nieselte es nur noch, blieb aber düster. Daheim packte ich nur kurz aus, startete dann eine Folge Yoga-Gymnastik, auf die ich mich sehr gefreut hatte, die sehr gut tat.

Herr Kaltmamsell zauberte das Nachtmahl:

Gabel und Messenrzerteilen einen Hügel von Wirsingblättern

Mit Hackfleisch gefüllter Wirsing. Nachtisch Schokolade.

Weitere Händel mit dem Handyzahlungs-Dienstleister. Nachdem ich anweisungsgemäß eine E-Mail mit angewiesenem Betreff “persönliche Daten ändern” an die angewiesene E-Mail-Adresse geschickt hatte, lautete die Antwort, was denn genau geändert werden solle. Ich antwortete mit “von mir aus gar nichts!” und Screenshots des Chat-Verlaufs. Nichts daran erweckte Vertrauen.

Ich hatte vor drei Wochen einfach mal “Dahlien” auf unsere gemeinsame Einkaufsliste geschrieben.

Eine Glasvase mit weißen und rosa Blüten auf einem kleinen Holztischchen vor weißer Wand

Und gestern standen sie da! An diesem grauen Tag eine besonders willkommene Aufhellung.

Im Bett neue Lektüre: Granta 167, Extraction. Die Ausgabe 168 hatte ich davor gelesen; als sie eintraf, fiel mir auf, dass ich die vorherige Ausgabe nie bekommen hatte und hakte nach.

§

Vor einigen Jahren veröffentlichte des SZ-Magazin einen Artikel über das Sterben: Was da genau bei uns Menschen passiert. Er beeindruckte mich sehr, ich fühlte mich ein wenig (wenn das überhaupt geht) gewappnet für die Zeit, wenn ich mal jemanden beim Sterben begleiten würde. Es ist das einzige SZ-Magazin, das ich aufgehoben habe, ich will es für den Ernstfall zum Nachlesen zur Hand haben.

Kürzlich erwähnte ich den Artikel meiner Mutter gegenüber, sie bat um eine Kopie. Zu diesem Anlass las ich ihn nochmal darauf hin, ob er immer noch so gut ist wie in meiner Erinnerung. Ich wusste nicht mehr, dass er schon 2016 erschien. Ich wusste nicht mehr, dass er aus der Perspektive des eigenen Sterbens geschrieben ist (das mich ja nicht schreckt). Und er ist sogar besser, als ich ihn in Erinnerung hatte (€).

“Wie Sterben abläuft:
Ganz am Ende”.

(Stecke ich heute in die Post, Mama.)

§

Und dann: In Wien gibt’s Urban Gardening am Friedhof. Eh.
“Kein Schmäh: Frisches Gemüse vom Zentralfriedhof”.

via @sauerlauwarm

Nicht wenige zieht es zum Würstelstand mit dem schönen Namen Eh scho wuascht.

Und dann heißt die Gärtnerin auch noch Himmel.

Auf dem Zentralfriedhof beackern momentan zwischen 60 und 90 Menschen die Gartenparzellen. Um sich dort die Radieschen von oben anschauen zu können und ein Beet von 24 oder 40 Quadratmetern zu bewirtschaften, muss man aber über ein Grab auf einem der 46 Wiener Friedhöfe verfügen.

Journal Mittwoch, 14. August 2024 – Weiterhin Hochsommer, Ende der kurzen Arbeitswoche

Donnerstag, 15. August 2024

Richtig gut geschlafen trotz offenem Fenster (kühle Luft!) und keinen Ohrstöpseln.

Frischer Balkonkaffee, zunächst begleitet von Eichhörnchen-Rascheln und -Keckern aus der Linde vorm Balkon. Arbeitsweg durch Corona-leere Straßen: Die beiden mittleren August-Wochen waren seinerzeit meine Referenz, weil sie erfahrungsgemäß in München (und Augsburg) die leersten des Jahres sind.

Die erste halbe Stunde im Büro musste ich mit Instagram-Gucken verbringen, weil der Arbeitsrechner acht (!) Updates fuhr inkl. Bios und viermal neu startete. Doch dann begann ein wirklich knackiger Arbeitsvormittag, in erster Linie erledigte ich Reise-Orga (was mir immer noch Spaß macht, seit das Anfang Mai zu einer der zentralen Tätigkeiten meines Jobs wurde – eigentlich überraschend, weil ich das für mich selbst ungern erledige). Dazu gehörte aber auch eine Online-Schulung; in der ca. zehnten Runde überlistete ich den erratischen Abschlusstest.

In der Mittagspause nahm ich eine U-Bahn ins Zentrum: Rezeptabholen bei Ärztin. Die Fußgängerzone war voller schlendernder Tourist*innen und heiß, ich sah keine Möglichkeit für einen schnellen Mittagscappuccino. Also fuhr ich mit der nächstmöglichen U-Bahn zurück ins Büro.

Spätes Mittagessen, weil konzentrierte Arbeit: Nektarinen und Granatapfelkerne mit Joghurt und Leinsamenschrot. Am Nachmittag ging’s mit konzentrierter Emsigkeit weiter, ich freute mich an meinem gut temperierbaren Büro.

Pünktlicher Feierabend und auf direktem Weg (langsam wegen der Hitze) nach Hause, ich wollte nämlich noch Brot backen (Wohnung schön schattig, Ofen gut isoliert, deshalb ist bei uns in Hitzephasen kein Backverbot nötig): Damit ich am feiertäglichen Donnerstag VOR der Hitze laufen konnte und dann trotzdem frisches selbstgebackenes Brot haben würde.

Blauer Himmel über Parkbäumen, von rechts dringen fedrige Ausläufer von Wolken in den Himmel

Bei meiner Ankunft daheim konnte ich am Himmel von rechts (Westen) das Gewitter aufziehen sehen.

Während des Teig-Gehens turnte ich meine Yoga-Gymnastik und wusch schonmal den Ernteanteil-Salat: Wegen Feiertag Mariä Einschulung am Donnerstag wurde unsere Verteilung vorgezogen.

Zwei gefüllte Longdrinkgläser auf Balkonbrüstung mit Blick auf Bäume und dahinter dunklem Himmel

Wochenend-Feier-Drink: Moscow Mule (damit endlich das vor Monaten spontan gekaufte Ginger Beer wegkam) vor dunklen Gewitterwolken. Zum Anstoßen schlossen wir die Balkontür aber wieder, es war noch sehr warm draußen.

Gedeckter Tisch mit Glastellern, im Vordergrund ein Teller mit einem aufgeschnitten gebratenen scheinbaren Steak, dahinter ein Teller mit gefüllte halben Jalapenos und eine Schüssel Blattsalat

Nachtmahl. Nachdem wiederholt davon geschwärmt worden war, zuletzt hier, wollte ich das vegane Steak von Planted auch mal probieren und bat Herrn Kaltmamsell um Suche – die schnell erfolreich war. Wir mochten beide den Geschmack und aßen es gern, waren uns aber einig: Das ist kein Steak, vor allem bei Geruch und Geschmack. Außerdem servierte Herr Kaltmamsell gefüllte Jalapeños aus dem Ofen, ich hatte Salat (aus Ernteanteil: Blattsalat, Gurke, gelbe Tomaten, Schnittknoblauch) mit Joghurtdressing angerichtet. Nachtisch Süßigkeiten. Derzeit gibt es für Schokolade eigentlich keine gute Aufbewahrungsmöglichkeit: Zimmer zu warm, Kühlschrank zu kalt. Marktlücke Schokolade-Temperierschränke wie für Zigarren und Wein.

Das Gewitter hatte auch diesmal sanften Regen mitgebracht und sofortige Abkühlung. Ich konnte die Wohnung durchpusten lassen und im Bett bei bei offenem Fenster lesen (Brooklyn von Colm Tóibín erzählt schon arg gemächlich, eher tagebuchartig) – um den Preis, den Zigarettenrauch von Nachbarn zu riechen.

Journal Montag, 12. August 2024 – Schwerer Ausstieg aus der Hochzeitsblase

Dienstag, 13. August 2024

Erschöpfung schlug nachts die Unruhe vor erstem Arbeitstag: Ich schlief gut, wachte zur normalen Zeit auf und nutzte nicht die extra 30 Minuten, die ich mir eigentlich für Schlaf gegeben hatte. Beim nächtlichen Klogang war es draußen endlich kühl genug gewesen, dass ich Fenster und Balkontüren öffnen konnte.

Balkonkaffee, dann konnte ich mich gemütlich fertig machen: Herr Kaltmamsell hatte ja Ferien und übernahm Haushaltliches.

Marsch in die Arbeit durch einen bereits recht warmen Hochsommermorgen. Im Büro geordneter Arbeitsstart: Keine Katastrophen, nichts wirklich Unerwartetes.

Meinen Mittagscappuccino bei Nachbars verband ich mit einem Einkaufsmarsch zum Lidl: Ich hatte nichts für Brotzeit im Haus gehabt. Später am Schreibtisch wurden das zwei Bananen sowie Hüttenkäse mit Leinsamenschrot.

Arbeit war ziemlich anstrengend – weniger wegen Dingen, die in meiner Abwesenheit angefallen waren, sondern weil ich mit dem Kopf noch so sehr bei den Eindrücken vom verlängerten Wochenende war. Und dann postete der Rabbi auch noch Bilder von der Trauung. Zudem war die WhatsApp-Gruppe, die das Hochzeitspaar für Abstimmungen und schnelle Infos eingerichtet hatte, längst zur Anlaufstelle für Kuscheln, Glückwünsche, Zusammenfassungen, Foto- und Kontaktaustausch geworden.

Das Büro ließ sich halbwegs kühl halten, für einige manuelle Tätigkeiten, die gestern anfielen, ging ich in den wunderbar kühlen Flur.

Nach Feierabend hatte der Himmel gewitterlich zugezogen, das verhinderte die unangenehmste Hitze.

Straße mit Zebrastreifen, dahinter alte Wohnhäuser

Verkehrswende! Hurra! Dieser Übergang auf meinem Arbeitsweg war immer mühsam, weil die Straße fast immer ziemlich von Autos befahren ist. Jetzt gibt es einen Zebrastreifen – ich habe eine ungefähre Vorstellung, wie viele Jahre der Bezirksausschuss dafür gekämpft haben muss.

Über der Theresienwiese sah ich erst einen Mauersegler, dann noch einen – jetzt fällt mir aber kein Grund mehr dafür ein. Bleibt gerne noch länger, aber wird’s da nicht ein bisschen knapp mit Afrika für den Rest des Jahres?

Abstecher zu einem Tchibo-Laden, bei dem ich Bestellungen abholte, dann direkt nach Hause. Herr Kaltmamsell hatte die Temperatur der Wohnung gemäßigt gehalten, wundervoll. Ich entschwitzte beim Fingernägelkürzen, dann turnte ich endlich mal wieder eine Runde Yoga-Gymnastik (ich hatte die Reise-Yogamatte sogar nach Essen mitgenommen, aber es bot sich wirklich keine Gelegenheit).

Herr Kaltmamsell servierte Nachtmahl:

Gedeckter Tisch, auf den Tellern was der Text unterm Foto beschreibt

Zwischen uns vegane Sushi (auf Wassermelonen-Basis – gut, aber weit entfernt von Sushi), auf unseren Tellern köstliche Aubergine mit Safran-Joghurt. Zum Nachtisch gab es erst die erste Wassermelone der Saison (super!), dann Schokolade.

Golden angeleuchtete Abendwolken über Bäumen

Für den Abendhimmel verzogen sich die Gewitterwolken wieder, doch es blieb zu warm zum Lüften. Im Bett nach der wunderbar schrägen und konzisen Kindheits- und Jugendgeschichte Die Infantin trägt den Scheitel links von Helena Adler mal wieder was Englisches aus der Stadtbibliothek: Colm Tóibín, Brooklyn.

Journal Montag, 5. August 2024 – #wmdedgt von Herrsching nach Dießen

Dienstag, 6. August 2024

Am 5. jedes Monats sammeln sich geneigte Tagebuchblogposts um die Frage von Frau Brüllen: “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?”, #wmdedgt, im August 2024 hier.

Nach guten Schlaf früh aufgewacht – das freute mich trotz Urlaub, weil ich mich als Morgenmensch im ersten Drittel des Tages immer am lebendigsten fühle.

Dichte und hohe Stangenbohnen auf einem Balkon

Stangenbohnen auch schon fit.

Trotz düsterem Himmel setzte ich mich zum Morgenkaffee auf den Balkon, doch nach eben diesem zog ich mich fröstelnd zurück ins Drinnen.

Mein Plan für diesen Urlaubstag war schon lange eine Wanderung mit Herrn Kaltmamsell gewesen; diesmal dachte ich halbwegs rechtzeitig daran, ihn darüber zu informieren, nämlich bereits einige Tage vorher. Mit Hoffnung auf wenige andere Menschen wollten wir ein wenig um den Ammersee herum gehen, nämlich von Herrsching nach Dießen. Die Anreise war einfach: S-Bahn nach Herrsching. Zurück würden wir von Dießen ein Stück Schienenersatzverkehr benötigen – aber wir hatten ja beide frei.

Die S-Bahn war angenehm wochtäglich dünn besetzt. Zeitunglesen (ich habe für die Urlaubswoche wieder auf online umgestellt) wurde allerdings zunächst verhindert, weil sich die SZ-App nicht mehr an mich erinnerte und ein frisches Log-in haben wollte, die im Handy gespeicherten Daten aber als falsch deklarierte. Meine (verschlüsselt notierte) Passwort-Liste hatte ich natürlich nicht dabei. Also erstmal Passwort zurückgesetzt etc. trallala, dann endlich Zugriff. Am Abend stellte sich heraus, dass die gespeicherten Daten korrekt gewesen waren, die Online-Verwaltung der Süddeutschen ist also weiterhin ein Saftladen. (Dass es sich um ein derartiges Cookie-Monster handelt, dass ich im ganz normalem Firefox nicht mal an die Reklamations- oder die Urlaubs-Funktion rankomme und nur dafür jedesmal Chrome starte, erwähnte ich?)

Beim Aussteigen in Herrsching am Ammersee war das Wetter Vorhersage-gemäß bedeckt und mild, es ging ein leichter Wind: Perfektes Wanderwetter, und ich war in ärmellosem Oberteil genau richtig gekleidet. Dazu trug ich eine lange Hose, um vor dem Wachsenthaar-Termin Kratzer und sonstige Wunden zu vermeiden. Diesmal ging ich möglichst wenig Risiko ein und besprühte mich gleich nach dem Aussteigen und noch am Bahnsteig gründlich mit Mückenspray, ich finde Mückenstiche wirklich, wirklich unangenehm, empfinde sie eher als Schmerz denn als Jucken.

Ich hatte mir Brotzeit eingepackt, Herr Kaltmamsell brauchte noch eine: Dafür und für einen überraschend guten Cappuccino steuerten wir in Herrsching die Bäckerei Kasprowicz an.

Stehtisch in einer Bäckerei, darauf zwei Bäckereitüten und zwei Tassen Cappuccino, im Hintergrund eine schicke Bäckereitheke mit Verkäuferinnen und Kundschaft

Das erste Stück am Ammersee entlang, eine knappe Stunde, kannte ich von unseren Wanderungen Richtung Andechs und Starnberger See, darauf freute ich mich schon.

In einem großen See steht ein Pfahl, darauf steht eine kleine Möwe, im Hintergrund ragt ein Steg in den See

Renovierte Gründerzeit-Villa zwischen alten Bäumen, zum Spazierweg ein moderner Metalllzaun

Ein altes Haus mit spitzem Dach ragt ins Bild bis an den See

Leuchtend rose Blütenstände in einer hohen Wiese, im Hintergrund ein Streifen See, in dem ein schwarzer Hund steht

See mit einem Baum im Vordergrund, weit weg am gegenüberliegenden Ufer ein Ort mit sehr großer Kirche

Blick auf unser Ziel Dießen.

Ab dann wurde es spannend und neu, zunächst eine Weile weiter am See entlang. Außer uns praktisch keine anderen Fußgänger, auf dem Weg wurde geradelt – gerademal nicht so viel, dass wir nicht ständig auf der Hut sein mussten.

Aus niedrigem Wald ragen zusammengeimmerte Bretter, über die Wasser fließt, links davon ein Schild "Wasserbaustelle"

Wasserbaustelle

Jetzt ging es allerdings fast eine Stunde eine Straße entlang, dann auch auf einer Straße.

Schmaler bräunlicher Fluss längs, von Bäumen und Büschen gesäumt, darüber dunkle Wolken

An der namensgebenden Ammer links, wir verließen den See.

Blick über eine nahezu eingewachsene Rastbank auf schmalen Fluss, der hier über ein paar Steine fließt, darüber dunkle Wolken

Eine Rastbank neben großem Baum und vor ebener Landschaft

Nach zweieinhalb Stunden machten wir Pause, wir trafen fast auf die Minute auf ein passendes Bankerl mit Blick auf Raisting. Ich hatte eingeweichtes Muesli mit Joghurt dabei, außerdem eine hervorragende Nektarine (diese zu Herrn Kaltmamsells Amüsement im Schraubglas tranportiert, doch ich wollte sehr gerne Plastiktütenmatsch verhindern). Die Wolken wurden immer weniger, immer mehr Sonne schien – und machte sofort sehr warm

In Dießen kamen wir wenige Minuten vor Abfahrt am Schienenersatzbus an. Das waren etwa 14 Kilometer in knapp vier Stunden mit einer Pause – fast alles brettleben und ausschließlich auf breiten Wegen, viele davon asphaliert, das geht halt schnell.

Selfie von einem älteren Männer- und Frauengesicht, beide mit kuren Haaren und Brille

Der Bus schlängelte sich über teils erstaunlich schmale Straßen und viele Halte (darunter Sankt Ottilien, zu dem mir seine Geschichte als jüdisches Krankenhaus und Sammelort für Displaced Persons 1945-48 einfiel, da wollte ich ja unbedingt mal eigens hin – es gibt sogar öffentliche Rundgänge) bis Geltendorf, dort Regionalbahn nach München Hauptbahnhof. Ich machte mich direkt auf den Weg zu Lebensmitteleinkäufen, Herr Kaltmamsell ging kurz nach Hause zum Frischmachen, holte dann den Leih-Smoking für die Hochzeit ab.

Ich freute mich auf gründliche Säuberung unter der Dusche, stellte allerding beim Ausziehen wie befürchtet fest: reichlich Wanderkrätze an beiden Unterschenkeln. Ich baue darauf, dass sie in den fünf Tagen bis zur Hochzeit verschwunden ist. Ja, die gestrige Strecke hätte ich auch in Turnschuhen sicher gehen können, doch die Wanderstiefel erleichtern das Gehen mit ihrem Halt und verteilen die Anstrengung über mehr Beinmuskulatur. Nach Dusche und herrlich frischer Kleidung las ich ein wenig auf dem Balkon, ging dann zu einer Einheit Yoga-Gymnastik rein – tat wieder SO gut.

Fürs Nachtmahl hatte ich ein Rezept aus der Wochenend-Süddeutschen aufgehoben, Thema Tomaten, vor allem aber zum Aufbrauchen des letzten Stück Ernteanteils: Salbei.

Ein Teller mit Spahetti, hellen Tomatenstücken, Semmelbröseln, frittiertem Salbei

Schmeckte ganz hervorragend: Die Tomaten in dieser Zubereitung intensiv und gemüsig, ich mag Salbei, der Knaller aber war der Parmesan für Arme, also die gerösteten Semmelbrösel (die das Gericht zufällig vegan machten), herrlich knusprig. Nachtisch Schokolade.

Nachtrag: Die gebuchte Supersparpreis-Zugverbindung zur Hochzeit nach Essen gibt es seit einigen Wochen nicht mehr, die Nachricht der Bahn, “Fahrplanänderung”, verwies auf eine “Reiseempfehlung” mit zweimal Umsteigen, unsere Platzreservierung existierte nicht mehr. Gestern entdeckte ich eine wesentlich bequemere Alternative München-Essen, stellte sicher, dass die “Fahrplanänderung” auch wirklich eine Aufhebung der Zugbindung bedeutete und zahlte nochmal eine Platzreservierung für eine Fahrt ohne Umsteigen. Die Rückreise gibt es ebenfalls nicht mehr, in diesem Fall folge ich aber der Empfehlung, die auch die Platzreservierung übernommen hat. Alltag des Bahnreisens in Deutschland.

Im Bett las ich weiter Helena Adler, Die Infantin trägt den Scheitel links, freute mich am nächsten Kapiteleinstieg:

Meine Mutter rastet nicht, habe ich immer geprahlt. Und wenn sie rastet, rastet sie aus.

§

Bericht über den ersten Bundeskongress der Omas gegen Rechts.
“Widerstand statt Ruhestand”.

Journal Sonntag, 4. August 2024 – Früher Isarlauf, großes Grillen bei Elterns

Montag, 5. August 2024

Etwas unruhige Nacht, früh zu Ende – was mir sehr recht war, weil Pläne. Wir waren gestern bei meinen Eltern zum Grillen eingeladen, auch eingeladen waren die Familie meines Bruders und meine Schwiegereltern. Und vorher wollte ich noch eine Runde Laufen.

Draußen war es kühl und düster nach nächtlichem Regen, wieder kein Morgenkaffee auf dem Balkon. Eng getimet mit einer Maschine helle Wäsche machte ich mich lauffertig. Es war trocken und angenehm, nach fast einer halben Stunde kam ich auch mal wieder ein wenig in den Fluss.

Unter anderem Nachdenken über eine Geschichte im Granta 168, Significant other, vor allem über diese Passage:

Being recognized as part of a couple thrilled me; I felt legitimised.

Das fehlte mir immer schon komplett. Ich verliebte mich, manchmal war eine Folge, dass ich Teil eines Paars wurde – doch damit haderte ich. Bis ich erkannte, dass ich das eigentlich lieber nicht war. Herr Kaltmamsell musste hohe Hürden meistern, um mich zu überzeugen: Er war die Ausnahme. Erst kürzlich hatte mich eine Diskussion über Online-Datingportale zur Erkenntnis gebracht: Ich war noch nie auf Partnersuche. Neben meinem frühen und intensiven Nicht-Kinder-Wunsch wohl ein zentrales Stück Privileg und Freiheit in meinem Leben.

Blick auf eine zugewucherte Gärtnerei, im Vordergrund am Boden dunkle Gärtnereifolie, im Hintergrund werden Beete bewässert

Über der Flaucher-Gärtnerei zeigte sich erster blauer Himmel.

Dicht zugewachsene Flusslandschaft mit steinigem Flussbett

Liegender Grabstein in dichtem Grün, bei aller Verwitterung kann man die große Inschrift lesen: "Georg Simon Ohm"

Am Alten Südfriedhof sagte ich Herrn Ohm hallo – dem großen Widerstandskämpfer. (Eine physikalische Einheit nach sich benannt zu bekommen, ist schon sehr weit oben auf der Coolheits-Skala.)

Zug nach Ingolstadt, pünktlich und problemlos. Große Freude über Wiedersehen meiner Eltern, meiner Schwiegereltern, der lange nicht mehr gesehenen Bruderfamilie. Wir saßen auf der Terrasse des Elternhauses, vor der meist scheinenden Sonne mit einem riesigen Schirm geschützt, Blick auf den hochsommerlich zugewucherten Garten. Viele hochspannende Neuigkeiten von den Nifften (unter anderem Einblicke in den Medizinertest, der ganz anders ist, als ich gedacht hatte). Vom Grill (den meist mein Bruder bediente, damit meine Eltern sich um ihre Gäste kümmern konnten) gab es Garnelen, Tintenfisch, Rinderfilet, Schweinskotelett, Schweinebauch, Tofuspieße, vegane Würschtl, Tomaten, Champignons, Brot, dazu Salate. Nach einer Anstandspause Kaffeeundkuchen, und zwar Marzipantorte (von der Gastgeberin selbst gekauft).

Am späten Nachmittag nahm ich mit Herrn Kaltmamsell einen Zug zurück, dieser sehr dicht besetzt. Daheim eine wohltuende Runde Yoga-Gymnastik (dass ich weder crow pose noch half moon je erleben werde, habe ich mittlerweile überwunden), dann hatte ich wieder Hunger (mittags vor Aufregung gar nicht so viel gegessen): Zwei frisch gepflückte elterliche Tomaten als Salat mit Flachpfirsich, Basilikumblättern und Olivenöl, außerdem Käsereste, hartgekochtes Ei, danach noch reichlich Schokolade.

Meg Rosoff, The Great Godden ausgelesen, bis zum lahmen Schluss beleidigt über die Flachheit der Geschichte, doofes Buch. Meine nächste Lektüre muss das ausgleichen: Helena Adler, Die Infantin trägt den Scheitel links (war in der Münchner Stadtbibliothek gerade verfügbar). Das schaffte dieser Roman der Anfang des Jahres jung verstorbenen Österreicherin sofort. Er beginnt:

Home Sweet Home

Nehmen Sie ein Gemälde von Pieter Bruegel.

Wir essen schwarze Regensuppe zum Nachtmahl. Der grüne Kachelofen brütet in der Ecke, in der Stube dampft es, doch mir ist kalt. Die Bewohner des Hauses haben sich im Parterre versammelt. Nicht oft verlassen die Urgroßeltern den ersten Stock. Sie sind die Urgesteine hier am Hof und wer sie bewegen will, beißt auf Granit. Wir, die Eltern, die Schwestern und ich, wohnen bei ihnen, nicht sie bei uns.

Zack: Wenige Zeilen, doch schon ist der Ton gesetzt, die Szenerie aufgebaut. Jetzt freute ich mich wieder aufs Lesen.

§

Eine lesenswerte Perspektive aufs Thema privates Fliegen von Bernhard Ötter in der taz:
“Wir unperfekten Menschen”.

Journal Samstag, 3. August 2024 – Alle Sommerwetter in einem Tag

Sonntag, 4. August 2024

Gut und ausgeschlafen; erst nach sieben zog ich den Rollladen hoch – in Dürsternis und Regen. Na ja, keine Überraschung, das war angekündigt. Aber halt auch: kein Balkonkaffee.

Nahaufnahme eines nackten Fußes mit silbern lackierten Nägeln in einer hellgoldenen Riemchensandalette

Weiteres Schuheintragen (die Nägel werden noch pedikürt und bekommen eine andere Farbe).

Möglicherweise habe ich unseren Geschirrschrank ruiniert. Ich entdeckte an der linken vorderen Ecke des Schranks eine Wasserlache auf dem Parkett, also unter dem Topf mit der immer mächtigeren Efeutute auf dem Schrank, die ich morgens gegegossen hatte. Umgehend holte ich einen Lappen und ging der Quelle nach: Klare Spuren auf dem weiß lackierten Holz von oben – dabei hatte ich regelmäßig gecheckt, dass der Unterteller unterm Blumentopf nicht volllief. Wohl nicht oft und gründlich genug. Zwar zeigte die Oberseite des Schranks zu meiner Erleichterung keine Spuren von regelmäßiger Überflutung, doch es war wohl oft genug Wasser ausgelaufen, dass ich bereits einen Spalt am Eck der oberen Verzierung und der unteren Leiste sah.

Das Wetter beruhigte sich: Der Regen hörte auf, der Himmel wurde bunt inklusive blauer Flecken.

Semmelkauf und kurzes Abbiegen in den Edeka in der Holzstraße für Tomaten und Nektarinen. An der Kasse ein Schild, das die Schließung dieser Filiale am 12. August ankündigte – oh. Edekas gibt es nun wirklich genug in der Innenstadt (vor allem, seit auch die Tengelmanns zu Edekas wurden), aber dieser hier hatte einen besonderen Platz in meinem Herzen. Was mag nur statt dessen in die Räume kommen?

Zum Dantebad radelte ich im Vertrauen auf die Wettervorhersage, die erst für den späteren Nachmittag weiteren Regen ankündigte. Komisches Wetter: Eigentlich war die Luft kühl, doch jede Bewegung führte zu Schwitzen.

Das Schwimmbecken war ohne Freibadwetter wenig beschwommen, neben Wolken schien vom Himmel immer wieder die Sonne und verglitzerte den Metallboden, und mein Körper machte sehr gut mit – vielleicht schon eine Wirkung meiner Eisen-Kur?

Zudem schön: Es waren nur Leute im Becken, die einfach schwammen, ohne Spielzeug. Vielleicht lief ja gerade bei den Olympischen Spielen der Wettbewerb im Geräteschwimmen, auf den die anderen sonst trainierten, und sie saßen alle vorm Fernseher.

Nach Heimradeln in der Sonne und mit nur wenigen lebensgefährlichen Situationen: Zum Frühstück um zwei gab’s zwei Kürbiskernsemmeln mit dick Butter und Tomaten.

Gemütlicher Nachmittag: Lesen auf dem Balkon (mit herabgelassener Markise, denn jeder Sonnenstrahl machte unangenehm heiß), Bettschwere, die Lesen unmöglich machte, also eine Runde Siesta. Danach wurde es doch wieder düster: Gewitter und Regenguss.

Yoga-Gymnastik mit wackligem Kreislauf, der aber hielt. Zum Abendessen verarbeitete Herr Kaltmamsell die Ernteanteil-Zucchini zu italienischer Scarpaccia (etwa so, aber mit Polenta ins Mehl gemischt), ein Tipp aus dem Kartoffeldruck, dem Newsletter zu unserem Ernteanteil.

Gedeckter Tisch, auf Glastellern flacher Zucchinikuchen, dazwischen eine weiße Schüssel mit Salat, ein Glas Weißwein

Schmeckte ok, aber andere Verarbeitungen von Zucchini sind mir lieber. Dazu machte ich den kleinen Chinakohl aus Ernteanteil zu Salat mit Joghurtdressing (seit Studentinnentagen, in denen ich Chinakohl wegen seines Preis-Sättigungsverhältnisses oft aß, kommt in das Joghurtdressing dazu immer Sesamöl) und restlichen Tomaten, im Glas ein aromatischer und kräftiger Pecorino.

Im Fernsehen ließen wir Caroline Links Verfilmung von Als Hitler das rosa Kaninchen stahl laufen – die mir lediglich illustrativ vorkam, ohne künstlerisch oder erzählerisch Eigenes. Im Bett las ich weiter Meg Rosoff, The Great Godden – immer ärgerlicher über die eindimensionale Handlung und die stereotype Darstellung der Figuren: Nein, so sind Menschen nicht, so sprechen sie nicht, so verhalten sie sich nicht.

§

Vor 40 Jahren erreichte die erste E-Mail Deutschland, über das Computer Science Network (CSNET). Tagesschau.de nutzt die runde Jahreszahl für einen schönen Hintergrund-Artikel:
“Erste E-Mail erreicht Deutschland”.

Journal Donnerstag, 1. August 2024 – Sommerlich ruhig

Freitag, 2. August 2024

Beim nächtlichen Klogang konnte ich alle Fenster und Türen der Wohnung öffnen: Sturm und Regen hatten aufgehört, es kam kühl und frisch von draußen rein. Guter Schlaf, vom Wecker geweckt.

Balkonkaffee, angenehmer Spaziergang in die Arbeit.

Straße in Morgensonne, Altbauten, im Hintergrund ein Kirchturm aus Backstein

Gollierstraße ohne Schulkinder.

Eckgeschäft in einem Altbau, auf der verblichenen Markise steht "Imbiß" und "Metzgerei", die Jalousien sind herabgelassen

Aber auch: Gollierstraße künftig ohne Metzgerei. Zwar wurde auch hier (wie in den meisten Innenstadt-Metzgerläden) in erster Linie Brotzeit verkauft, doch ich hatte mich über die schiere Existenz eines kleinen, Inhaber-geführten Metzgerladens gefreut.

Aushang in der Ladentür, dass die Metzgerei zum 20.7. schließt

Mal sehen, was die “neue Leitung” damit macht.

Im Büro erstmal Schuhwechsel: Ich hatte die Riemchensandaletten für die Jahrhunderthochzeit zum Einlaufen dabei. Nach der Arbeit waren meine Füße von der Hitze und einem Tag Rumlaufen immer so dick gewesen, dass ich nicht hatte reinschlüpfen wollen. Zu meiner Erleichterung erwiesen sich die Schuhe als überraschend bequem beim hauptsächlichen Sitzen und auf den Gängen über die Gänge. Ich hielt zweieinhalb Stunden durch, bis ich Blasengefahr spürte.

Vorm Bürofenster sang eine Männerstimme mittelschräg und leidenschaftlich “Himbeereis zum Frühstück” – mir ging das Herz auf.

Für unsere Essen-Reise wollte ich einen Restaurant-Tisch reservieren – und wurde dafür zu einem Telefonanruf gezwungen. Den dann zu vorher genau gecheckten Geschäftszeiten ein Automat entgegen nahm, ich war gespannt, ob das funktionieren würde, wozu hat der Herrgott denn bitte das Internet erfunden? Und Reservierungs-Plattformen? Aber nach einigen Stunden meldete sich das Restaurant tatsächlich, ich reservierte.

Glas mit Cappuccino auf Nussbaum-farbenen Holz, im Hintergrund hängen Gemälde an der Wand

Mittagscappuccino im Westend mit Kunst (merken: auch als großer Cappuccino ist mir der hier zu rass).

Im Büro Fachsimpeln über Druckpapiere, geordnetes Arbeiten. Mittagessen Pfirsiche und Aprikose (himmlisch!) mit Sojajoghurt und Leinsamenschrot.

Ich machte sehr früh Feierabend, um zu meinem Friseurtermin in der Innenstadt zu marschieren. Bewegung war kein Problem, denn die Luft hatte unter Wolken abgekühlt. Die Mauersegler waren vielleicht schon weg, auf meinem Weg sah ich nur noch einen fliegen.

Haarschnitt mit angenehm wenig Gespräch.

Selfie einer Frau mit kurzen weißen Haaren und einer Brille vor sonnenbeschienenem Park

Ich war zufrieden. Jetzt schien die Sonne wieder – und machte sofort heiß.

Zu Hause Yoga-Gymnastik (schön, auch wenn meine Wirbelsäule mal wieder zum Gottserbarmen rumpelte und krachte), dann Telefonat mit meiner Mutter: Eine erfreuliche Einladung für Sonntag, aber auch eine Todesnachricht, die mich sehr traurig machte.

Ich bereitete aus dem frisch geholten Ernteanteil Abendessen: Eisberg-Salat (Ausgleich für die Schlammbäder der vorhergehenden Wochen: ich musste ihn fast gar nicht waschen), Gurke, Tomaten mit Joghurt-Knoblauch-Dressing. Außerdem gab es die restlichen Salzgurken. Nachtisch reichlich Schokolade.

Abendunterhaltung: Eine arte-Doku über neue archäologische Erkenntnisse zur minoischen Kultur auf Kreta – die weit ab sind von dem, was ich in den 1980er darüber lernte.

Das aktuelle Granta 168, Significant other las ich aus (na ja), startete im Bett die nächste Lektüre, von Kollegin empfohlen: Meg Rosoff, The Great Godden.

§

Gabriel Yoran fängt mit einem Kaffee-Vollautomaten an und analysiert sich zurück bis zur Erfindung der Idee form follows function, um am Ende bei der Bedeutung des anfänglichen Vollautomaten für die Zukunft der Menschheit anzukommen. Mit Genuss und Belehrung gelesen, hier an Sie verschenkt:
“Sie haben Geld, sie haben Zeit, und sie brauchen dringend ein Hobby”.

Tatsächlich hat sich der Designdiskurs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts komplett verschoben und das, was mit Funktionalität gemeint ist, wird mittlerweile genauer und viel weiter gefasst. Erheblichen Anteil daran hatte der französische Sozialphilosoph und Soziologe Pierre Bourdieu. Seine erstaunliche Erkenntnis: Das, was eine Person schön oder hässlich, vulgär oder fein findet, verrät ihre soziale Position und Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.

Bourdieu kränkte ganze gesellschaftliche Leitmilieus, in dem er in seiner Ende der 1970er Jahre erschienenen Studie „Die feinen Unterschiede“ zeigte, dass „guter Geschmack“ nicht angeboren, sondern „Ausdruck sozialer Differenzierung“ ist. Indem ich bestimmte Filme ansehe, bestimmte Musik höre, aber auch bestimmte Waren gut finde und kaufe, offenbare ich meine gesellschaftliche Stellung. Es geht natürlich um Geld, aber nicht nur: Bourdieu beschrieb, dass sich soziale Ungleichheit nicht nur mit ökonomischem, sondern auch mit kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital erklären lässt. Mit kulturellem Kapital ist nicht nur formale Bildung gemeint, sondern der ganze Apparat an Kulturtechniken, Kunstverständnis, Geschmack, Gehabe, der einem den Zugang zu den „besseren Kreisen“ eröffnet.